Zwei- und mehrsprachige Kindertagesstätten mit Tradition

Zwei- und mehrsprachige Kindertagesstätten mit Tradition

von Sonja Pyro und Svea Eichhorn • Artikel im ZMI Magazin 2009, S. 34

Ein Gespräch mit Thomas Zumstrull, Leiter des Leistungsbereichs „Kinder und Familie“ des Caritas-Verbandes für die Stadt Köln e. V., und Maria Lamaina, Leiterin der Kita Casa Italia; die Fragen stellte Sonja Pyro (IK D, Köln).*

P und E: Herr Zumstrull, zweiund mehrsprachige Kindergärten haben beim Caritasverband eine lange Tradition. Seit wann gibt es diese Kindergärten bei Ihnen? Können Sie uns etwas über die Anfänge erzählen? Damals waren Sie doch weit und breit die Einzigen, die solch ein Angebot anbieten konnten.

Zumstrull: Der Caritasverband für die Stadt Köln unterhält drei Kindergärten, die sich alle dadurch auszeichnen, dass sie einen Schwerpunkt auf Sprache legen. Die zwei Kindergärten, die nach einem  bilingualen Konzept arbeiten, deutsch-italienisch und deutsch-spanisch, kommen aus der Tradition der Gastarbeiter Anfang der 60er Jahre. Das spanische und das italienische Konsulat beauftragten die Kirche, die Gastarbeiterfamilien auf diese Weise zu unterstützen, und haben Ordensschwestern nach Deutschland gesandt, die dann diese Aufgabe übernommen haben. In den Anfängen damals gab es auch ausschließlich ausländisches Personal. Das hat sich erst mit der Zeit geändert, indem man begann, bewusst auch deutsches Personal zu nehmen, weil man zu der Überzeugung kam, dass es ja darum geht, beide Sprachen gleichberechtigt nebeneinanderzustellen.
Der Umgang mit Sprache wurde zunehmend reflektierter. Nicht nur bei der Zusammensetzung des Personals gab es einen Wandel, sondern auch hinsichtlich der Kinder, die die Einrichtungen besuchten: Es kamen mit der Zeit nicht nur Kinder aus rein italienischen bzw. spanischen Familien, sondern auch die Kinder derer, die hier geheiratet oder sich verliebt hatten, also Kinder mit binationalem Hintergrund. Außerdem kamen auch andere Kinder aus dem Stadtteil, die keinen italienischen bzw. spanischen Hintergrund hatten, deren Familien es aber einfach wichtig war, dass die Kita in der Nähe ist, und denen das Konzept gefiel. Hiermit meine ich auch nicht nur deutsche Familien, sondern z. B. auch türkische oder indische. Voraussetzung für die Aufnahme war erstmal nicht eine bestimmte Nationalität oder ein kultureller Hintergrund, sondern dass die Familien mit dem bilingualen Konzept einverstanden waren.
Und die dritte Einrichtung von uns in Kalk, Maria Hilf, war klassischerweise eine Einrichtung inmitten der Pfarrei. Diese wurde schon 1898 gegründet, als Antwort auf die Not der industriellen Revolution. Anfänglich ging es um Kinder der einfachen Arbeiterklasse in Kalk, und später in den 60ern kamen auch viele Gastarbeiter, besonders italienische und dann auch türkische. Für deren Kinder wurde dann auch eine Gruppe aufgemacht, weil die Schwestern sensibel für die konkreten Nöte vor Ort waren. Es wurde nun auch italienisches Personal als Erzieherinnen eingestellt. Und bis heute ist es in unserer Einrichtung in Kalk so, dass sie praktisch eine Dreiteilung hat: Ein Drittel deutsche Kinder, ein Drittel italienische und ein Drittel türkische Kinder, wobei die Anzahl der türkischen Kinder wächst.

P und E: Haben die türkischen Kinder dort auch die Möglichkeit, in ihrer Muttersprache gefördert zu werden?

Zumstrull: Gott sei Dank haben wir in Kalk über zwei Jahre ein Projekt vom Land finanziert bekommen, so dass wir mit einer halben Stelle eine muttersprachlich Türkisch sprechende Diplom-Pädagogin finanzieren konnten. Dieses ist jetzt im Sommer ausgelaufen, was sehr schade ist. Ihr Schwerpunkt lag auf der Sprachförderung. Gleichzeitig hat sie aber auch im Rahmen interkultureller Elternarbeit das Thema Sprache und die Förderung der Sprachentwicklung im Alltag aufgegriffen und Tipps gegeben, wie man Sprachanlässe schafft und den Kindern ein reiches Angebot an Sprachvorbildern bietet: Welche Bücher könnte man den Kindern mal vorlesen; was könnte man mit ihnen spielen, was unternehmen. Wenn man hier eine Muttersprachlerin hat – da war ich immer von überzeugt – öffnet das einfach besser Türen. Insofern versuchen wir da jetzt weiterzumachen. Glücklicherweise haben wir nun vom Stadtrat Gelder für dieses und nächstes Jahr bekommen. Wir sind also weiter an diesem Thema dran.

P und E: Die Caritaskitas sind evaluiert worden durch die Universität zu Köln, wie kam es dazu?

Zumstrull: Es gibt viele Vorurteile über Mehrsprachigkeit. Wir wollten angesichts des Wandels in den Einrichtungen hin zur Zweiund Mehrsprachigkeit unser Konzept evaluieren lassen. Wir waren immer davon ausgegangen, dass es besser ist, dass ein Kind keine „verbotene Sprache“ hat, sondern diese Sprache erlaubt ist; ansonsten stelle ich mir das total schizophren für ein Kind vor. Es kommt hier rein, und der oberste Satz heißt: Hier wird nur Deutsch gesprochen. Ja, was mache ich denn zu Hause? Spricht meine Mutter etwas Verbotenes mit mir? Ist das nicht erwünscht?
Deshalb haben wir ausdrücklich gesagt, dass bei uns erstmal jede Kultur, jeder in seinem So-Sein willkommen ist. Aber dabei bleiben wir nicht stehen: Wenn da ein gutes Fundament ist, dann gibt es auch die große Chance, eine zweite Sprache draufzupacken. Die Hirnforschung sagt uns ganz klar: Ab zwei Jahren öffnen sich die Sprachfenster und es wäre fatal, das nicht zu nutzen. In der Schule wird mittlerweile Englisch im ersten Schuljahr unterrichtet, bei mir früher erst ab dem 5. Schuljahr.
Lamaina: Im Rahmen der Evaluation wurden als erstes die Spielprozesse der Kinder beobachtet, also die Kommunikation zwischen den Kindern und die Kommunikation der Erzieherinnen mit den Kindern. Wie liefen die Angebote, die Aktivitäten der Erzieherinnen mit den Kindern ab, wie waren die Prozesse bei den Kindern untereinander? Ganz am Schluss wurde der Sprachstand der Vorschulkinder mit einem Verfahren erhoben, bei dem sie anhand von bestimmten Bildern eine Geschichte nacherzählen und hierzu bestimmte Fragen beantworten sollten.
Zumstrull: Außerdem gab es Interviews mit den Erzieherinnen und Befragungen der Eltern. Ein Ergebnis ist auf jeden Fall, dass Mehrsprachigkeit kein Nachteil ist, sondern im Gegenteil eine Bereicherung für die Kinder und auch für die Familien darstellt. Ich denke, es ist auch eine Wertschätzung der Familien, zu sagen, mit ihrer Sprache und ihrer Kultur sind sie willkommen. Aber wir motivieren ihre Kinder und sie natürlich, wenn sie hier leben und ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben, sich eben auch der deutschen Sprache zu öffnen. Und wenn sie sehen, dass es bei ihren Kindern klappt, dann ist oft auch die Motivation bei den Eltern größer zum Erlernen der deutschen Sprache.

P und E: Hat die Evaluation denn zu Veränderungen im Konzept geführt?

Lamaina: Auf jeden Fall, bestimmte Punkte sind in allen drei Teams daraufhin wirklich noch mal besprochen worden: Worauf müssen wir hier in der Einrichtung noch stärker achten, gerade bei uns selber, weil wir uns als Vorbilder für die Kinder sehen. Wenn ein Kind mich zum Beispiel nicht versteht, dass ich dann nicht automatisch ins Deutsche verfalle. Das ist manchmal ein Problem der italienischen oder spanischen Mitarbeiter: Dadurch, dass wir die deutsche Sprache natürlich alle beherrschen, gerät man manchmal schon in die Umgebungssprache. Hier müssen wir wirklich bewusst drauf achten, langsam zu reden, uns aufs Kind zu konzentrieren, Augenkontakt zu halten, wirklich mit Gestik und Bewegung und mit allem drum und dran den Kindern die Inhalte auch in der jeweiligen Fremdsprache, ob es jetzt die deutsche, spanische oder italienische Sprache ist, näher zu bringen, ohne in die Sprache zu wechseln, die den Kindern leichter fällt.

P und E: Das heißt, ein Erzieher hat eine Sprache.

Zumstrull: Das ist das Grundprinzip. Das Kind darf dabei antworten, wie es möchte.
Lamaina: Wenn ich mit dem Kind auf Italienisch rede und das Kind auf Deutsch antwortet, spreche ich trotzdem weiter in meiner Sprache. Früher oder später baut das Kind sich diese Struktur auf und sagt sich: „Mit der Maria muss ich mir jetzt aber Mühe geben, auf Italienisch“.

P und E: Das Kind versteht alles und antwortet in der Sprache, die eben die leichteste ist.

Lamaina: Genau. Das ist auch die, in der es den größten Wortschatz hat.
Zumstrull: Wobei das Umswitchen phänomenal ist. Das ist wirklich ein Jonglieren. Da sieht man, was eigentlich die Idee von Sprache ist: dass man sich ausdrücken kann.
Lamaina: Die Kinder lernen, die Sprache je nach Gegebenheit zu wechseln. Ich muss mich ja jetzt auch auf die deutsche Sprache konzentrieren, und wenn ich gleich mit einer italienischen Kollegin rede, wechsle ich zum Italienischen. Das lernen die Kinder auch ganz schnell bei uns in den Gruppen, mit welchen Erzieherinnen und mit welchen Kindern sie welche Sprache sprechen.
Zumstrull: Impulse für Veränderungen kamen nicht nur durch die Evaluation, sondern z. B. auch durch die Einführung des Qualitätsmanagements. Dadurch kam es auch noch mal zu mehr Verbindlichkeit hinsichtlich der Struktur der Kindergartenplanung. Das bedeutet, dass es eine Tagesplanung, eine Wochenund eine Jahresplanung gibt und dass die Teams dafür Zeit haben, ebenso wie für die Reflexion. Im Rahmen dessen haben die drei Einrichtungen bestimmte Elemente im Sinne des Qualitätsmanagements vereinheitlicht, z. B. gibt es nun einen Beobachtungsbogen, einen Sprachstandsbogen, halbjährliche Elterngespräche und eine Abfrage der Kundenzufriedenheit.
Wenn das Kind kommt, wird eine Anamnese gemacht, und die Entwicklungsfortschritte werden regelmäßig mit den Eltern zusammen besprochen. Hierbei – und das ist wichtig – geht es nicht ums Kontrollieren und Bewerten, sondern es geht ums Fördern. Und das können wir nur, wenn wir hinschauen, auf welcher Stufe das Kind gerade ist und welche Maßnahmen adäquater Art jeweils ergriffen werden müssen. Dazu ist es notwendig, dass alle Mitarbeitenden geschult werden und sich fortbilden.
Lamaina: Hierzu bieten wir dann auch gezielte Sprachförderung in Kleingruppen an. Also Sprache ist schon eines unserer ersten Kennzeichen.
Zumstrull: Der Ansatz ist dabei bei uns, glaube ich, noch mal ein bisschen anders als beim Land NRW. Das Land benennt in seinem Bildungsplan fünf Bereiche, und einer davon ist Sprache. Unserer Ansicht nach steht Sprache dagegen über den Bildungsbereichen, denn sie bieten Sprachanlässe.
Wir sehen Sprache also nicht als einen besonderen Bildungsbereich, sondern Sprache steht drüber oder drunter, je nach dem, wie man es sieht. Die Kita Maria Hilf hat sich z. B. im Rahmen des Bundesprojektes „Sprachliche Förderung in der Kita“, das das deutsche Jugendinstitut durchgeführt hat, mit Naturwissenschaften beschäftigt. Dort gibt es nun eine Forschergruppe:
Die Kinder erzählen begeistert. Sie freuen sich, z. B. mal eine Kakerlake unter die Lupe zu nehmen.
Hierdurch ergeben sich zahlreiche Sprachanlässe. Sie glauben gar nicht, wie die Kinder sich dadurch im Deutschen auszudrücken lernen, aber eben auch in anderen Sprachen. Von daher sind wir überzeugt, dass wir viele Dinge, die den Kindern zu Hause auch vertraut sind – wie z. B. Fotoapparat, Videokamera, PC – auch im Kindergarten abbilden müssen und sie als Sprachanlässe nutzen können, indem wir dazu anregen, die Handlungen zu verbalisieren, z. B. durch Nachfragen: Was machst du denn jetzt genau? Ohne das Medium würden die Kinder sicher nicht so einfach ihren Wortschatz erweitern und „ich fotografiere“ statt „ich nehme die schwarze Kiste und klicke“ sagen. Wir würden uns wünschen, dass in dieser Hinsicht auch an den Fachschulen wesentlich mehr gemacht wird. Gerade hinsichtlich der Themen Sprachentwicklung und Hirnforschung entdecken wir doch weiße Flecke, was uns aus der Fachschule berichtet wird.

P und E: Sind weitere mehrsprachige Kindergärten, eventuell auch in anderen Sprachen geplant?

Zumstrull: Was die Planung weiterer Kindergärten betrifft, muss man sehen, ob sich das mit KiBiz auch finanzieren lässt. Es gibt z. B. Anfragen für Betriebskindergärten. Wir werden mögliche neue Kindergärten jedenfalls nach mehrsprachigem bzw. bilingualem Konzept ausrichten. Wir könnten uns z. B. gut Deutsch-Englisch vorstellen. Wir würden auch gerne das Deutsch-Türkisch ausbauen, wenn hierfür Gelder bereitgestellt würden. Dies muss aber im Einzelfall geprüft werden.

P und E: Wir bedanken uns ganz herzlich.

* Mit freundlicher Genehmigung des Redaktionsteams „Newsletter Ehrenfeld“; durchgeführt wurde das Interview am 26.08.2008 in den Räumen der Kita Casa Italia.

Die deutsch-italienische Kindertagesstätte „Casa Italia“

  • Die „Casa Italiana“ wurde 1965 für Kinder italienischer Gastarbeiter gegründet. Träger der katholischen Einrichtung ist der Caritas-Verband für die Stadt Köln. Bis 1980 wurde die bilinguale Kindertagestätte von italienischen Ordensschwestern geleitet. Heute wird die Kita nicht nur von italienischen Kindern, sondern auch von deutschen Kindern und Kindern aus anderen Ländern besucht. „Viele deutsche Familien und Familien mit anderen Sprachen melden ihre Kinder bei uns an, weil sie in der Nähe wohnen. Andere kommen von sehr weit weg, weil sie die italienische Sprache und Kultur lieben. Sie schätzen das italienische Temperament, die südländische Lebensfreude und Spontanietät“, so Maria Lamaina, Leiterin der Einrichtung.
  • In der Kindertagesstätte Casa Italia werden Kinder im Alter von zwei bis sechs Jahren betreut. Die Sprachen Deutsch und Italienisch erweitern die Kinder in der Kita spielerisch im Kontakt mit Erzieherinnen deutscher und italienischer Muttersprache; zum Beispiel im zweisprachigen Morgenkreis, beim Vorlesen italienischer und deutscher Bilderbücher, durch Reime und Lieder in beiden Sprachen und in alltäglichen Situationen werden die Kinder motiviert, beide Sprachen zu pflegen, zu erweitern und wertzuschätzen. Pädagogische Schwerpunkte sind interkulturelle und religiöse Erziehung, Bewegungs-, Rhythmik-, Musikerziehung, Förderung des
    Spiels und der Kreativität; für Vorschulkinder gibt es besondere Angebote. Neben der zweisprachigen Erziehung ist auch die grundsätzliche Sprachförderung ein pädagogischer Schwerpunkt: Die Betreuung orientiert sich dabei grundsätzlich immer an der Gesamtpersönlichkeit des Kindes unter Berücksichtigung seiner Bedürfnisse, Interessen und Entwicklungsmöglichkeiten.
  • Jede Kindergruppe wird von einer deutschen und einer italienischen Fachkraft betreut nach dem Prinzip: „Eine Sprache – Eine Person“. Dies führt bei den Kindern zu einem Erlernen ihrer Erstund Zweitsprache in natürlicher Umgebung, im täglichen Kontakt. Wie positiv diese neuen sprachpädagogischen Konzepte und Profile beurteilt werden, belegt nicht zuletzt eine Evaluationsstudie der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät an der Universität zu Köln, die die 2002 eingeführten vorbildhaften Modelle sehr positiv beurteilt.
  • Kindertagesstätte „Casa Italia“
    Christophstraße 1
    50670 Köln
    kita-casa-italia@caritas-koeln.de