Erste bilinguale deutsch-türkische Grundschulklasse in Köln

Erste bilinguale deutsch-türkische Grundschulklasse in Köln

von Karl-Heinz Heinemann • Artikel im ZMI Magazin 2009, S. 19

Nur 23 Kinder in der Klasse, und dann noch zwei Klassenlehrerinnen – in anderen Schulen müssen sich 30 Erstklässler die Aufmerksamkeit einer
Lehrerin teilen. Nathalie Schorn bereut es nicht, dass sie ihre Tochter Viviane in der deutsch-türkischen Klasse der Grundschule in Köln-Bilderstöckchen angemeldet hat: „Sie hat schöne kleine Gruppen, zwei Klassenlehrer,sie fühlt sich sehr wohl.“
In fast der Hälfte der Stunden werden die Kinder von zwei Lehrkräften gemeinsam unterrichtet, und sie haben 26 Stunden Unterricht in der Woche – fünf Stunden mehr als bei Erstklässlern üblich. Selbst der Klassenraum wurde neu gestrichen. Kurz, die Bedingungen sind optimal. Ein paar Kilometer weiter zahlen Eltern im Monat 800 Euro und mehr dafür, dass ihre Kinder zweisprachig unterrichtet werden – in der privaten „PhormsSchool“. Hier, an der staatlichen Gemeinschaftsgrundschule Alzeyer Straße, kostet es selbstverständlich nichts, sein Kind zweisprachig lernen zu lassen, da kann es sich auch der Vater von Viviane leisten, der ist Maler und Lackierer.
An der teuren Phorms-School lernen die Kinder auf Deutsch und Englisch, hier in der Alzeyer Straße lernen alle Kinder Deutsch und Türkisch. „Englisch, ja, vielleicht auch Italienisch, aber warum soll mein Kind Türkisch lernen?“ fragen sich viele Eltern.

Für Natalie Schorn ist es überhaupt nicht exotisch, dass ihre Tochter als erste Fremdsprache Türkisch lernt: „Wir leben in unserer Straße mit so vielen türkischen Mitbürgern zusammen. Die haben eine andere Kultur, eine andere Religion und Sprache, da ist es doch gut, wenn man sich versteht.“ Türkisch kann ihre Tochter Viviane in Bilderstöckchen täglich nutzen. Aber es gäbe dort niemanden, mit dem sie auf der Straße Englisch sprechen könnte.So denkt wohl nur eine Minderheit in dem Arbeiterviertel. Deshalb hat Schulleiterin Babette Ehrngruber die Mehrsprachigkeitsforscherin Claudia Maria Riehl von der Universität zu Köln zum Elternabend eingeladen. Sie erklärt den Eltern, wie wichtig eine zweite Sprache in jungen Jahren ist, damit man später mit geschärftem Sprachbewusstsein weitere Sprachen lernen kann.

Gern hätte Babette Ehrngruber, die auch Klassenlehrerin in der bilingualen Klasse ist, genauso viele deutschsprachige Kinder in der Klasse gehabt wie die mit türkischer Muttersprache. Nun sind es nur acht, wenn man den bosnischen und den kubanischen Jungen mitzählt, und das deutsch-ungarische Mädchen, für das Türkisch die dritte Sprache ist.
„Sie stellt sehr interessante Sprachvergleiche an, zum Beispiel, als wir jetzt die Farben gelernt haben. Da sind manche Wörter im Ungarischen ähnlich wie im Türkischen.“

Manche Zuwanderer-Eltern meinen, dass ihr Kind in der Schule Deutsch lernen soll – wozu dann noch Türkisch? Für Mesut Muslu ist das gar keine Frage. Der junge türkische Anwalt weiß aus der Sprachforschung, wie wichtig es ist, die Muttersprache gut zu beherrschen, damit man weitere Sprachen lernen kann. Deshalb hat er seinen Sohn Mahmut hier angemeldet. „Das ist doch ein zusätzlicher Reichtum, wenn man schon als Vieroder Fünfjähriger mehrere Sprachen kann.“ Das Handelsvolumen mit der Türkei wächst, wer beide Sprachen gut kann hat bessere Chancen im Beruf, argumentiert er dafür, dass Türkisch in Köln eine Sprache mit Zukunft ist. Die deutsch-türkische Grundschule komme viel zu spät, meint er, die hät te man vor 15 Jahren einrichten sollen. Schließlich gibt es längst deutsch-italienische, griechische und französische Grundschulzweige.

Tatsächlich haben in Köln etwa 30 Prozent der Erstklässler einen türkischen Zigrationshintergrund. Hier in Bilderstöckchen sind es gut 80 %. Nun hat es endlich mit der deutsch-türkischen Klasse geklappt. Erste Versuche in anderen Schulen scheiterten daran, dass es Ängste gab, den Ruf einer „Türkenschule“ zu bekommen. Bedenken gab es auch gegen muslimische Lehrerinnen und Lehrer. Für Babette Ehrngruber ist das alles kein Problem. „Ja, wir sind eine Türkenschule“, sagt sie. „Ich habe es nie als Nachteil empfunden, im Gegenteil, die türkischen Kinder haben oft intakte Familienstrukturen und die Eltern haben gerade in den letzten Jahren ein sehr gestiegenes Bildungsbewusstsein.“

Sie ist in Istanbul geboren, hat dort Abitur gemacht und hat jetzt noch mal einen Sprachkurs in Türkisch nachgelegt. Das war eine Lehrerfortbildung, und sie war die einzige Teilnehmerin, die sich dafür gemeldet hatte. Sie hat sich die deutsch-italienischen Grundschulen in Köln und Schulen mit türkischem Zweig in Hamburg und Berlin angesehen. Im Kollegium hat man das Für und Wider abgewogen – am Ende sprach alles dafür, vor allem natürlich die bessere Ausstattung mit Lehrerstunden.

Für den Sprachunterricht in Deutsch und Türkisch wird die Klasse in zwei Gruppen geteilt. Nicht in türkische und deutsche Muttersprachler, Babette Ehrngruber hat darauf geachtet, dass in beiden Gruppen Kinder aus beiden Sprachgruppen sind. Nur so können sie voneinander lernen.

Ihr Ko-Klassenlehrer ist türkischer Herkunft, ein an deutschen Hochschulen ausgebildeter Grundschulpädagoge. In den jeweils fünf Wochenstunden Sprachunterricht Türkisch und Deutsch fangen die Kinder sofort an zu sprechen. In den ersten Stunden geht es um die Ampel, die Farben Rot, Gelb, Grün. Die Kinder lernen die Begriffe, auf Türkisch und auf Deutsch. Ein türkisches Kind spricht einen Satz vor, ein deutsches Kind wiederholt ihn und entwickelt dann die Geschichte weiter: wie muss man sich an der Ampel verhalten, bei Rot, Gelb, Grün?

Die Eltern in der bilingualen Klasse haben ein ganz anderes Verhältnis zur Schule, meint Schulleiterin Ehrngruber. Mesut Muslu, der türkische Anwalt, arbeitet in der Elternvertretung mit. Von der Distanz der Migranteneltern zur Schule, über die Lehrerinnen und Lehrer sonst klagen, spürt sie in dieser Klasse nichts mehr. „Wenn sie merken, dass ihre Sprache und ihre Kultur ernst genommen werden, dann ist auch die Resonanz eine ganz andere.“