Rucksack – Mütter engagieren sich, damit ihre Kinder besser lernen

Rucksack – Mütter engagieren sich, damit ihre Kinder besser lernen

von Dr. Beate Blüggel • Artikel im ZMI Magazin 2010, S. 18

„Zweisprachige Kinder sind ein Schatz, und zwar nicht nur für ihre Familie, sondern auch für Köln. Zwei Sprachen beherrschen heißt auch zwei Kulturen kennen und zwischen diesen beiden Kulturen vermitteln können.“ Mit diesen Worten begrüßte der Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters kurz vor den Sommerferien neunzig Mütter zweisprachiger Kinder im Historischen Rathaus. Im Beisein des UN-Sonderberichterstatters Githu Muigai und der Projektverantwortlichen wurden diese Frauen, die das Rucksack-Projekt mit Leben erfüllt haben, durch die Vergabe von Diplomen geehrt.
Die Idee Rucksack stammt aus Holland – und sie funktioniert so: Mütter von Kindern aus einer Kindertagesstätte oder einer Grundschulklasse treffen sich jede Woche etwa zwei Stunden mit einer so genannten Elternbegleiterin. Sie erfahren, was ihre Kinder in der Kita bzw. in der Schule machen, mit welchen Themen sie sich beschäftigen, was gerade gelernt wird. Durch Anleitung und mit Hilfe von Arbeitsmaterialien – die sie in einem imaginären Rucksack mitnehmen – fördern die Mütter zu Hause gezielt die Herkunftssprache ihrer Kinder parallel dazu. Die Kinder lernen also Inhalte und das Vokabular sowohl auf Deutsch (in der Einrichtung) als auch in der Erstsprache (zu Hause). Wenn die Kinder beispielsweise lernen, die Uhr zu lesen, dann geschieht das morgens auf Deutsch und nachmittags auf Türkisch. Darüber hinaus bekommen die Mütter bei ihren wöchentlichen Treffen Informationen zu verschiedenen pädagogischen Fragestellungen; sie haben Gelegenheit, Erziehungsfragen zu diskutieren, eigene Themen einzubringen und so auch voneinander zu lernen.
Dem Verbund der Regionalen Arbeitsstellen zur Förderung von Kindern und Jugendlichen aus Zuwandererfamilien in Nordrhein-Westfalen, kurz RAA genannt, ist es zu verdanken, dass diese Idee nach Deutschland gekommen ist. Dass sie in Köln angekommen ist, ist ein Verdienst des Interkulturellen Dienstes in KölnMülheim. In der Zeit von 2004 bis 2007 fand ein Pilotprojekt an zwei Schulen in Mülheim statt. Das war so erfolgreich, dass 2007 zehn Grundschulen mit Rucksack begonnen haben und 2008 zwei Kindertagesstätten. Aktuell sind elf Grundschulen und fünf Kindertagesstätten im Programm.
Viele Partner sind an der erfolgreichen Durchführung von Rucksack beteiligt: die federführende RAA Köln, die beteiligten Kindertagesstätten und Schulen, das Schulamt für die Stadt Köln und das Schulverwaltungsamt, das Jugendamt mit der Jugendförderung und dem Interkulturellen Dienst, die Katholische Familienbildung Köln e. V. mit zweien ihrer FamilienForen, die Bezirksregierung und das Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration, das qualitätssichernde Maßnahmen finanziert. Bei Bedarf werden zu Einzelfragen weitere fachkundige Partner mit ins Boot geholt. Durch diese Vielfalt an Experten, die sich auch in der Steuerungsgruppe von Rucksack widerspiegelt, entstehen immer wieder wertvolle Synergie-Effekte.
Eine herausgehobene Rolle beim Gelingen des Projekts haben natürlich die Elternbegleiterinnen, durch deren Engagement die Gruppen mit Leben erfüllt werden. Sie sind das Bindeglied zwischen den Müttern und den Kindertagesstätten und Schulen, aber auch zwischen den Müttern und anderen Institutionen. Ihr Potenzial wird auch von anderen erkannt und genutzt: Zwei der Elternbegleiterinnen haben aus der Rucksackarbeit heraus 2009 eine Stelle im offenen Ganztag bekommen. In einer Gruppe ist daraufhin eine der Mütter zur Elternbegleiterin – wenn man so will – aufgestiegen.
Die erste große feierliche Diplomvergabe bedeutete die Erreichung eines Meilensteins für das Projekt. Für die beteiligten Frauen war es eine besondere Ehre, im Historischen Rathaus aus den Händen des Oberbürgermeisters, der Schuldezernentin Dr. Agnes Klein und des Vorsitzenden des Integrationsrats, Tayfun Keltek, die Diplome überreicht zu bekommen. Sie stellten die Rolle der Elternbegleiterinnen für den eigenen Erfolg besonders heraus und dankten ihnen für ihren Einsatz, der oft über verabredete Zeiten hinausgegangen sei.
Weit davon entfernt, sich auf den Lorbeeren auszuruhen, hat die Steuerungsgruppe des Projekts schon die nächsten Ziele vor Augen:
Stetige Optimierung ist ein wichtiges Anliegen der Projektkoordinatorinnen. Am Ende jedes Jahres findet ein Reflexionstag aller Verantwortlichen mit professioneller Moderation statt: Gelegenheit, das Bisherige zu evaluieren und Verbesserungsvorschläge zu erarbeiten, die in die zukünftige Praxis eingebaut werden. Bislang wird Rucksack in Köln nur mit Türkisch als Herkunftssprache durchgeführt, eine Gruppe mit Russisch ist in Planung. Wünschenswert wäre eine Ausweitung auf weitere Sprachen, zumal die Materialien auch in anderen Sprachen vorliegen. Möglicherweise könnte in Zukunft auch eine gemischtsprachige Gruppe eingerichtet werden, in der die Mütter zu Hause die Materialien in ihrer jeweiligen Herkunftssprache verwenden; die Kommunikationssprache in der Gruppe müsste dann Deutsch sein. Ein großer Wunsch ist die bedarfsgerechte Ausweitung des Projekts auf ganz Köln. Leider lässt die Haushaltslage der Stadt das nicht zu. In den nächsten Jahren wird aber wenigstens der Teil von Köln-Mülheim, der im Rahmen des Bund-Länder-Programms „Soziale Stadt“ unterstützt wird, weitere Rucksack-Gruppen einrichten können.
Der bei der Diplomvergabe anwesende Githu Muigai hat sich in seinem Bericht an die Vereinten Nationen positiv über die Veranstaltung und das Projekt geäußert. Schön wäre es, wenn bis zum nächsten Besuch eines Sonderberichterstatters in Deutschland einige der qualitativen Pläne und der quantitativen Wünsche in Erfüllung gegangen wären.