Gelebte Mehrsprachigkeit

Gelebte Mehrsprachigkeit

Rosella Benati • Artikel im ZMI Magazin 2015, S. 31

In nordrhein-westfälischen Schulen spricht jedes dritte Kind im Elternhaus eine andere Sprache als Deutsch, in manchen Großstädten sind es durchschnittlich mehr als 50%. Alle Schülerinnen und Schüler begegnen verschiedenen Kulturen und Sprachen. Es wäre ein verschenkter Schatz, diese in den Klassen vorhandene Vielfalt nicht für den Lern- und Entwicklungsprozess zu nutzen.
Zur Förderung der eigenen Herkunftssprache gehört auch ein Klima der Anerkennung. In mehrsprachigen Klassen sind alle Kinder willkommen und gleichberechtigt. Und zwar so, wie sie sind. Dies trägt zur Identifikation mit der Klasse und der Schule sowie zur Lernmotivation bei. Es ist daher sinnvoll, im Unterricht immer wieder auf die in der Klasse gesprochenen Sprachen und gelebten Herkunftskulturen einzugehen.
Dem dient das Modul „Gelebte Mehrsprachigkeit“. Es wurde in Anlehnung an das DemeK-Konzept „Deutschlernen in mehrsprachigen Klassen“ entwickelt. Es bietet Anregungen zur Einbindung aller in der Klasse gesprochenen Sprachen. Von mehrsprachigen Wörterbüchern über Kinderbücher sowie CD’s mit Sprachbeispielen wird die Vielfalt im Klassenzimmer berücksichtigt. Das Modul bietet Material zur Erstellung von mehrsprachigen Selbstportraits und von Steckbriefen. Faltheftchen mit Mini-Sprachkursen, die Betrachtung von Schriftzeichen in anderen Sprachen sowie der Einsatz von mehrsprachigen Wortplakaten zur Wortschatzerweiterung sind weitere didaktische Mittel des Moduls.
In der Reihe “Gelebte Mehrsprachigkeit” findet man auch acht Hefte mit spielerischen Lehreinheiten, die direkt anwendbar sind. Ohne die Sprache selbst beherrschen zu müssen, können sich die Lehrkräfte die Kinderreime, Lieder oder Sprachspiele schnell aneignen und mit der Klasse einüben. Plötzlich können die Kinder, deren Herkunftssprache in den Mittelpunkt gerückt wird, ihre kulturellen und sprachlichen Kenntnisse in das Unterrichtsgeschehen einbringen.
Das Interessante wird sein, die Momente im Unterricht greifbar zu machen, wenn das Kind sein Wissen mit anderen Kindern teilt. So erhält es die Möglichkeit, von Gleichaltrigen eine Rückmeldung über „seine” Sprache zu erhalten. Die Kinder erfahren, dass die eigene Sprache wertgeschätzt wird. Auch die Lehrperson wird teilweise bzw. zeitweise zur Lernenden, wenn die Kinder in der Klasse mit ihren Herkunftssprachen Teile des Unterrichts gestalten, wenn sie in ihrer Herkunftssprache singen oder Spiele vorstellen. Die Lehrperson sollte diesem gemeinsamen Lernen im Sinne der interkulturellen Pädagogik Raum geben. So wendet sich das Blatt: Wo dem Kind möglicherweise früher weisgemacht wurde, dass seine Herkunftssprache eine Belastung darstellt, wird sie zu einer Bereicherung für die Klassengemeinschaft.
Im mehrsprachigen Unterricht bekommen alle Kinder auf diese Weise die Möglichkeit, kindgemäße Ausdrucksformen anderer Kulturen kennenzulernen. Sie können so eine selbstverständliche Offenheit und Neugierde gegenüber einer anderen Sprache und Kultur entwickeln.
Die Ausrichtung des Unterrichts an mehrsprachigen Modulen ist gleichzeitig immer ein Beitrag zur individuellen sprachlichen Förderung.
Die Hefte sollen als Anreiz und Ansporn dienen, die Mehrsprachigkeit der Kinder im Schulleben einzubeziehen. Seit 2013 sind bisher die Hefte in folgenden Sprachen erschienen: Arabisch, Griechisch, Italienisch, Kurdisch, Romanes, Russisch, Spanisch, Türkisch. Eine Reihe weiterer Hefte sind für das Jahr 2016 in Planung, damit Mehrsprachigkeit und Interkulturalität als fächerübergreifendes, durchgängiges Erziehungsprinzip in unserer Schulvielfalt eine Selbstverständlichkeit werden.