Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche in der Schule

Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche in der Schule

Nora von Dewitz & Mona Massumi • Artikel im ZMI Magazin 2015, S. 12

Wie können Kinder und Jugendliche ohne bzw. mit geringen Deutschkenntnissen in das deutsche Schulsystem aufgenommen werden? Eine gemeinsame Studie des Mercator-Instituts für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache und des Zentrums für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln gibt erstmals einen bundesweit vergleichbaren Überblick über die schulische Situation neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher.

Wie viele Kinder und Jugendliche kommen an Schulen in Deutschland?
Durch die steigenden Zuwanderungszahlen wird die Situation neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher im deutschen Bildungssystem aktuell immer relevanter. Insbesondere der Umgang mit geflüchteten Kindern und Jugendlichen wird gegenwärtig stark diskutiert, denn den steigenden Zahlen stehen mangelnde Ressourcen an Schulen gegenüber. Zwischen 2006 bis 2014 hat sich die Anzahl der zugezogenen ausländischen Kinder und Jugendlichen auf bundesweit 99.472 mehr als vervierfacht, für das Jahr 2015 ist angesichts der Zunahme geflüchteter Menschen in Deutschland ein weiterer Anstieg zu erwarten. Setzt man die Zahlen aber ins Verhältnis zur gesamten Schülerschaft, so zeigt sich im Durchschnitt folgendes Bild: Der Anteil, den die Zugezogenen an der Gesamtzahl aller Kinder und Jugendlichen im Alter von sechs bis 18 Jahren ausmachen, liegt für das Jahr 2014 bei 1,02 Prozent. Die Spannweite der Bundesländer reicht dabei von 0,56 Prozent in Brandenburg bis hin zu 1,79 Prozent im Stadtstaat Bremen mit dem höchsten Wert. Die Durchschnittswerte spiegeln jedoch nicht die Herausforderung einzelner Schulen wider, die je nach Standort variieren können.

Woher kommen die Kinder und Jugendlichen?

Die Mehrzahl der ausländischen Kinder und Jugendlichen, die nach Deutschland ziehen, kommen aus Europa. Diese Gruppe macht im Jahr 2014 mit ca. 60 Prozent den mit Abstand größten Anteil aus. EU-Staaten, wie Polen, Bulgarien oder Italien finden sich kontinuierlich unter den zehn häufigsten Herkunftsländern, während kein afrikanischer oder amerikanischer Staat darunter ist. Nach Europa folgen Zuzüge aus Asien mit 27 Prozent, dann Afrika mit neun Prozent und Amerika mit unter fünf Prozent. Obwohl die Zuwanderung aus asiatischen Ländern lediglich etwa ein Viertel der ausländischen Kinder und Jugendlichen ausmacht, lassen sich die Fluchtbewegungen aus Syrien und Afghanistan im Jahr 2014 an den Zahlen ablesen: Die Anzahl syrischer Kinder und Jugendlicher verzehnfachte sich von 2012 bis 2014. Syrien wurde so im Jahr 2014 das Hauptherkunftsland. Gleichzeitig lässt sich ein starker Anstieg der Asylerstanträge der sechs- bis 18-Jährigen feststellen: Seit 2012 hat sich die Anzahl von 15.437 auf 35.971 mehr als verdoppelt. Diese Zunahme setzt sich auch 2015 fort: Bereits in der ersten Jahreshälfte 2015 wurde mit 33.289 Asylerstanträgen unter den sechs- bis 18-Jährigen nahezu der Gesamtwert aus dem Vorjahr erreicht.

Unterricht in der Regelklasse oder in einer parallel geführten Klasse?

Die Formen, in denen neu zugewanderte Kinder und Jugendliche an Schulen aufgenommen werden, wurden in fünf Modelle gefasst (s. Abb. 1). Sie unterscheiden sich einerseits im Hinblick darauf, ob eine spezifische Sprachförderung im Deutschen umgesetzt wird oder ob die Schülerinnen und Schüler an den allgemeinen Fördermaßnahmen einer Klasse teilnehmen können. Andererseits lassen sich die Modelle danach anordnen, wie viel Unterricht die Schülerinnen und Schüler in einer speziell eingerichteten Klasse haben und wie viel in einer Regelklasse.
Die Vorgaben des Landes Nordrhein-Westfalen lassen alle schulorganisatorischen Modelle zu. Je nachdem, ob ein Kind oder Jugendlicher während des laufenden Schuljahrs oder im Sommer zu Schuljahresbeginn kommt, unterscheiden sich zwei Formen parallel geführter Klassen: In Auffangklassen ist der Zugang ganzjährig möglich. In Vorbereitungsklassen beginnen die Schülerinnen und Schüler dagegen ausschließlich nach den Sommerferien zum neuen Schuljahr. In der Sekundarstufe II werden parallel geführte Klassen ausschließlich an Berufskollegs in der Ausbildungsvorbereitung eingerichtet und als Internationale Förderklasse bezeichnet. Die Schülerinnen und Schüler können hier u. U. auch den Hauptschulabschluss erwerben.

Wie sieht die Situation neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler in Köln aus?
Im Schuljahr 2013/14 wurden insgesamt 1.182 neu zugewanderte Kinder und Jugendliche aus 58 Ländern Kölner Schulen zugewiesen. Im Schuljahr 2014/15 waren es insgesamt 1.696 aus 67 Ländern.
Neu zugewanderte Kinder oder Jugendliche bzw. ihre Eltern führen bei ihrer Ankunft bzw. Zuweisung in Nordrhein-Westfalen ein Beratungsgespräch im Kommunalen Integrationszentrum (KI). Das KI dokumentiert mithilfe eines Beratungsbogens die Daten des schulpflichtigen Kindes bzw. Jugendlichen und leitet den Bogen bei der Zuordnung in die Primarstufe oder Sekundarstufe I an das Schulamt für die Stadt Köln weiter. Dort erfolgt die Zuweisung auf eine möglichst wohnortnahe Schule. In seltenen Fällen nehmen Schulen Kinder und Jugendliche direkt auf.
Im Schuljahr 2014/15 hatten 50 Kölner Grundschulen und damit knapp ein Drittel eine oder mehrere Vorbereitungsklassen. Weil die Kinder möglichst nahe ihrem Wohnort zur Schule gehen sollen, entscheidet der Standort einer Grundschule maßgeblich darüber, wie viele neu zugewanderte Kinder und Jugendliche der Schule zugewiesen werden.
In der Sekundarstufe I haben 51 Schulen insgesamt 76 Vorbereitungsklassen eingerichtet. 39,5 Prozent aller weiterführenden Schulen haben somit eine oder mehrere Vorbereitungsklassen. Die Klassen verteilen sich jedoch nicht gleichmäßig auf die Schulformen: Alle Real- und Hauptschulen haben eine oder mehrere Klassen, die Gymnasien führen dagegen entsprechend weniger. Insgesamt besuchen in Köln jedoch rund 50 Prozent der Gesamtschülerschaft in der Sekundarstufe I ein Gymnasium und nur ca. 10 Prozent eine Haupt- bzw. ca. 20 Prozent eine Realschule und 20 Prozent eine Gesamtschule.
Jugendliche, die die Vollzeit- bzw. Berufsschulpflicht noch nicht erfüllt haben und altersmäßig der Sekundarstufe II zugeordnet werden, weist das Kommunale Integrationszentrum direkt den Internationalen Förderklassen der Berufskollegs zu. In der gymnasialen Oberstufe gibt es in Köln keine Vorbereitungsklassen. Die 17 Internationalen Förderklassen und drei Auffangklassen verteilten sich im Schuljahr 2014/15 auf elf der insgesamt 17 Kölner Berufskollegs, die bis zu vier Internationale Förderklassen parallel führen.
Insgesamt bieten knapp zwei Drittel aller Kölner Schulen im Schuljahr 2014/15 keine Vorbereitungs- oder Auffangklassen an. Gleichzeitig werden nicht alle Kinder und Jugendlichen, die mit geringen Deutschkenntnissen nach Köln zuziehen, einer parallel geführten Klasse zugewiesen. Es gibt auch Schülerinnen und Schüler, die direkt – in sogenannten Einzelintegrationsmaßnahmen – am Regelunterricht teilnehmen.

Was können die Beteiligten tun?
Zuwanderung ist eine langfristige Aufgabe, die ihren festen Platz in den Überlegungen und Konzeptionen rund um Schule, Schulentwicklung und in der Bildungspolitik sowie -administration haben sollte. Dementsprechend sind alle Akteurinnen und Akteure gefragt, langfristige Überlegungen anzustellen und Erfahrungen und Modelle nachhaltig zu sichern, um in der Zukunft besser vorbereitet zu sein.
Grundlage und Voraussetzung ist dabei eine migrationssensible Haltung, um der Vielfalt in einer Schule gerecht zu werden und Diskriminierung entgegenzuwirken. Angehende Lehrkräfte müssen bereits in ihrer Ausbildung und später im Rahmen von Fort- und Weiterbildungen kontinuierlich für die Vielfalt ihrer (zukünftigen) Schülerschaft sensibilisiert werden. Dazu gehören einerseits spezifische Fortbildungsangebote, die auf die Arbeit mit neu zugewanderten Schülerinnen und Schülern ausgerichtet sind, aber auch weiter gefasste Maßnahmen, die die Zielgruppe im Sinne einer ganzheitlichen Herangehensweise einbeziehen. Die gesetzlichen Regelungen zur Einbindung neu zugewanderter Schülerinnen und Schüler bieten den Schulen einen Gestaltungsspielraum, der ihnen ermöglicht, selbst an den Gegebenheiten vor Ort ausgerichtete Konzepte zu entwickeln und zu gestalten. Vorgaben im Sinne von Minimalstandards könnten den Schulen dabei als Orientierungsrahmen dienen, sie entlasten und gleichzeitig das Risiko minimieren, dass einzelne Schülerinnen und Schüler keine oder eine unzureichende Förderung erhalten.
Erst wenn alle Ebenen ineinandergreifen, kann das Ziel einer umfassenden und erfolgreichen Förderung neu zugewanderter Kinder und Jugendlicher längerfristig erreicht und ihre schulische sowie gesellschaftliche Teilhabe in Deutschland gesichert werden.

Literatur:
Massumi, von Dewitz et al. (2015): Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche im deutschen Schulsystem. Bestandsaufnahme und Empfehlungen. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache, Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln.

Sie finden die gesamte Studie auch online zum Download unter:
http://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Publikationen/MI_ZfL_Studie_Zugewanderte_im_deutschen_Schulsystem_final_screen.pdf