Das koordinierte Lernen mit BiSS (Bildung durch Sprache und Schrift)

Das koordinierte Lernen mit BiSS (Bildung durch Sprache und Schrift)

Ina-Maria Maahs und María José Sánchez Oroquieta • Artikel im ZMI Magazin 2016, S. 21

Viele Konzepte zur Förderung von Deutsch als Zweitsprache konzentrieren sich nur auf die Zielsprache und vernachlässigen dabei die Herkunftssprache der Schülerinnen und Schüler. Uns aber geht es um eine bewusste Förderung mehrsprachiger Kompetenzen und Fertigkeiten. Dafür nutzen wir das Konzept des „Koordinierten Lernens“ (Koala).

Im Regierungsbezirk Köln unterrichten 26 Grundschulen seit dem Jahr 2004 nach dem Prinzip des ‚Koordinierten Lernens‘. Grundlage für dieses Lernprinzip ist die in allen Schulen fest etablierte ‚Koordinierte Alphabetisierung‘ in Deutsch und in der Herkunftssprache, welche mit dem mittlerweile bundesweit bekannten Akronym ‚Koala‘ betitelt wurde. Die Schülerinnen und Schüler werden dabei sowohl auf Deutsch als auch auf der am häufigsten in der Klasse vertretenen Herkunftssprache unterrichtet, weshalb das mehrsprachige Lehrertandem aus Regellehrkraft und Lehrkraft des Herkunftssprachlichen Unterrichts sowie die kontrastive Anlauttabelle in Deutsch und in der Herkunftssprache die Grundsäulen dieses Unterrichts bilden. Alle anderen Herkunftssprachen werden sowohl bei der Alphabetisierung als auch in den höheren Klassen der Grundschule berücksichtigt, indem die Schülerinnen und Schüler ihre Sprachen aktiv während des Unterrichts einsetzen.
Durch gezielte phonologische Übungen lernen die Schülerinnen und Schüler in der Schuleingangsphase die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Sprachen kennen, was ihnen wiederum das Erlernen von Lesen und Schreiben in beiden Sprachen erleichtert. In den anschließenden Klassen 3 und 4 hingegen nutzt man das kontrastive Lernen in den verschiedenen Fächern als Grundlage für einen sprachsensiblen Unterricht, indem hier sachfachliche Inhalte in beiden Sprachen thematisiert und bearbeitet werden.
Im Jahr 2014 gründeten die drei Gemeinschaftsgrundschulen GGS Alte Wipperfürther Straße (Köln), GGS Sankt Nikolaus (Köln) und GGS An der Burg (Hückelhoven) den BiSS-Verbund ‚Koordinierte Entwicklung von Lese- und Schreibfähigkeiten in Deutsch und in der Herkunftssprache während der Primarstufe‘. In diesem Schuljahr ist die KGS Michael-Ende dem Verbund beigetreten. Alle vier Grundschulen unterrichteten schon länger nach dem Prinzip des ‚Koordinierten Lernens‘, setzten das Konzept jedoch unterschiedlich um, was zu einer sehr heterogenen Ausgangslage führte und die Veranlassung bot, gemeinsam eine didaktische Intervention zu erarbeiten, um das vorhandene Konzept weiterzuentwickeln. Diese konkretisierte sich im Konzept des ‚mehrsprachig reziproken Lesens‘.
Dabei dürfen sich die Schülerinnen und Schüler während der interaktiven Gruppenarbeitsphase sowohl des Deutschen als auch des Türkischen (die in allen Verbundschulen am meisten verbreitete Herkunftssprache) bedienen, um sich den in beiden Sprachen vorliegenden Text zu erschließen und über die Inhalte auszutauschen. Bestehen darüber hinaus Möglichkeiten zu einem Austausch in weiteren Sprachen sind alle Schülerinnen und Schüler eingeladen auch in ihren Herkunftssprachen miteinander zu kommunizieren. Die Erarbeitung der Texte erfolgt dabei sehr strukturiert in sukzessiver, abschnittweiser Aneignung. Ziel dieser Technik ist neben der Inhaltserschließung auch, die Schülerinnen und Schüler mit den kognitiven Strategien vertraut zu machen, um im Sinne des TSI-Ansatzes (Transactional-Strategies-Instruction) die Lesekompetenz nachhaltig zu fördern.
Konkret durchlaufen die Schülerinnen und Schüler in Kleingruppen unterschiedliche Phasen, innerhalb derer jeder/jede eine bestimmte Aufgabe übernimmt, wie z.B. die des Vorlesens, des Fragenstellens, des Erklärens von schwierigen Wörtern, des Zusammenfassens oder des Vorhersagens. Diese Rollenverteilungen können abschnitts- oder textweise gewechselt werden, am Ende steht aber immer ein gemeinsames Leseprodukt, welches einsprachig Deutsch oder einsprachig Türkisch sein sollte.
Um einen Austausch über die dabei gesammelten Erfahrungen sowie ein Lernen voneinander und miteinander zu ermöglichen, finden innerhalb des Verbundes neben der gemeinsamen didaktischen Arbeit regelmäßig kollegiale Hospitationen statt. In diesem Rahmen besuchte auch Frau Prof. Dr. Ofelia García aus der City University of New York als prominente Vertreterin des Translanguaging-Ansatzes im Februar 2016 die Verbundschule GGS Alte Wipperfürther Straße in Köln und zeigte sich sichtlich beeindruckt von dem dort erlebten Unterrichtskonzept: „The Koala concept is important because increasingly classrooms around the world are multilingual, with children from very different language characteristics. The traditional bilingual education concept doesn’t work in all contexts, and so Koala presents an alternative that can be of benefit both to language minoritized, as well as language majority children.”
Wissenschaftlich begleitet wird die Intervention durch die Universität zu Köln, was bedeutet, dass in allen Verbundschulen sowie in zwei Kontrollschulen jährliche Erhebungen der Lesekompetenzen der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler durch standarisierte und normierte Testverfahren durchgeführt werden.
In einer Klausurtagung im Herbst soll die Intervention nun so erweitert werden, dass sie die vollständige Erarbeitung eines literarischen Werkes durch die Schülerinnen und Schüler ermöglicht. In einem nächsten Schritt wird das koordinierte mehrsprachige Schreiben die Arbeit im Verbund ergänzen. Bis 2019 sollen also weiter verschiedene Interventionen und Strategien diskutiert, erprobt und kritisch reflektiert werden, um zur Weiterentwicklung des bewährten Koala-Konzepts beizutragen.