GEDICHTE DICHTEN

GEDICHTE DICHTEN

von Ulrike Heuer und Beatrix Jankowski • Artikel im ZMI Magazin 2018 S. 18

Ein Tag im November vor zwei Jahren: Eine Projektanfrage der lit.COLOGNE für ein Leseprojekt mit Schülerinnen und Schülern hatte uns erreicht. Könnten wir es umsetzen? Wie es der Zufall wollte, fand fast zeitgleich eine Beiratssitzung des ZMI statt. Dort in einem Gespräch mit Frau Benati nahm die Idee Gestalt an: Grundschulkinder verfassen Texte und präsentieren sie auf einer eigenen Veranstaltung. Vorausgehen sollte ein Wettbewerb an Grundschulen des Verbund(es) Kölner Europäischer Grundschulen. Bereichert würde der Wettbewerb durch jeweils eine Dichterlesung und enden würde er mit der Auswahl der besten Texte für die große Abschlussveranstaltung im Rahmen der lit.kid.COLOGNE.
Die Kinder würden dabei Vorlagen verwenden, aus denen sie die eigenen Texte entwickeln. Spielerisch erweitern sie so ihren Wortschatz und üben regelkonformes Schreiben.
Schulrätin Frau Zeißig hatte die zündende Idee, Frantz Wittkamp als Spender der Vorlagen zu gewinnen. Sie stellte auch den Kontakt zu ihm her. Wittkamp ist Grafiker, Maler, Illustrator und vor allem schreibt er melodische, hintergründige Verse mit viel Witz, die Kinder und Erwachsene gleichermaßen ansprechen.
Sehr bekannt ist z. B.:
„Wenn beide Eltern Enten sind,
ein ganz normaler Fall,
dann kriegen sie ein Entenkind
und keine Nachtigall.“
Alle stimmten für die Durchführung des Vorhabens. Beginnen sollte es im Schuljahr 2017/18 mit einem Textwettbewerb für Dritt- und Viertklässler an den Schulen des Verbundes Kölner Europäischer Grundschulen. Organisiert werden sollte es vom ZMI – Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration, zusammen mit der lit.kid.COLOGNE, mit dem Amt für Schulentwicklung und dem Schulamt für die Stadt Köln. Eine Arbeitsgruppe aus Vertreterinnen dieser vier Kooperationspartner, unter Federführung des ZMI, machte sich nun an die Arbeit. Das fertige Konzept sah so aus:
• Kinder der 3. und 4. Klassen aus Kölner Grundschulen, die dem Verbund Kölner Europäischer Grundschulen angehören, verfassen Texte in Deutsch und in ihrer Herkunftssprache.
• Die Kinder verwenden dabei Vorlagen von Frantz Wittkamp, aus denen sie eigene Textvarianten entwickeln.
• Dafür trifft die Arbeitsgruppe eine Auswahl an kurzen und langen Gedichten mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad, die der Dichter den teilnehmenden Schulen für das Projekt zur Verfügung gestellt hatte.
• Die Lehrkräfte der beteiligten Schulen laden die Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 3 und/oder 4 ein, Textvarianten zu verfassen.
• Die Mädchen und Jungen werden ermutigt, ihre eigenen Texte auch in ihrer Herkunftssprache aufzuschreiben, wenn sie mögen, auch nur in Auszügen.
• Die teilnehmenden Schulen wählen für die gesamte Schule die drei besten Texte aus, seien sie deutsch oder herkunftssprachlich. Die Auswahl wird getroffen durch eine interne Jury oder im Rahmen eines internen Vorlesewettbewerbs.
• Die Schulen senden an das Organisationsteam insgesamt drei ausgewählte Texte. Mindestens einer davon muss in einer Herkunftssprache verfasst sein.
• Frantz Wittkamp veranstaltet jeweils
eine Lesung an den Schulen.
• Die Jury aus den Organisatoren und dem Dichter wählt die besten Texte aus.
• Die Gewinnerinnen und Gewinner nehmen an einer Performancewerkstatt teil.* In ihr üben Theaterpädagogen mit den Kindern Vortragsformen ein und erarbeiten alles Nötige für die Präsentation ihrer Texte auf der lit.kid.COLOGNE 2018.
• Als Abschluss des Projektes präsentieren die Gewinnerinnen und Gewinner ihre Texte bei einer Lesung mit Frantz Wittkamp im Rahmen der lit.kid.COLOGNE 2018.

Soweit das Konzept. Jetzt begann seine Umsetzung, mit reichlich Einzelarbeit:
Die Gedichte Frantz Wittkamps mussten ausgewählt werden, Lehrkräfte von 15 Schulen mussten für die Mitarbeit gewonnen werden, Infopakete mussten an die Schulen versandt werden, ein Logo für den Flyer war zu finden, Texte für das Programmheft waren zu formulieren, alles natürlich immer termingerecht, die Performancewerkstatt war zu planen, ein passender Raum musste reserviert werden für die Abschlussveranstaltung, deren Ablauf und Moderation mussten vorbereitet werden, usw.
Tatsächlich beteiligten sich alle 15 Schulen im Verbund Kölner Europäischer Grundschulen mit ihren dritten und vierten Klassen. Frantz Wittkamps Lesungen an all diesen Schulen wurden begeistert aufgenommen. Die Schulen wählten die Siegertexte aus, und auch die Performancewerkstatt und die Abschlussveranstaltung verliefen genau nach Plan.
Die Veranstaltung war ein großer Erfolg.
„GEDICHTE DICHTEN“ ist ein besonderes Projekt. Indem die Schülerinnen und Schüler einzelne Elemente eines bereits vorhandenen Gedichts durch eigene Varianten ersetzen, folgen sie dem Konzept des Generativen Schreibens nach Dr. Gerlind Belke. Dabei handelt sich um einen Baustein des Programms „DemeK−Deutschlernen in mehrsprachigen Klassen“, bei dem Sprachunterricht und kreativer Umgang mit Literatur verbunden werden. Die Schülerinnen und Schüler lesen poetische Texte und entwickeln aus den Vorlagen neue Versionen. Gedichte, Reime, Lieder und Prosatexte werden gelesen, gesprochen, gesungen und rhythmisch erfahrbar gemacht. Und genau dadurch fördern solche Texte unmittelbar, ohne formalen Unterricht, den Erwerb sprachlicher und grammatischer Fähigkeiten. Nicht zuletzt erhalten die Kinder einen Zugang zum kreativen Schreiben, einem wertvollen Bestandteil der Allgemeinbildung, genau wie Musik und Kunst. Gedichte können mit wenigen Worten, ihrem Klang und Rhythmus, Denk- und Erinnerungsräume öffnen, sie evozieren Bilder, sie lassen Gefühle anklingen oder manchmal eine ganze Geschichte erahnen. Die Kinder, die im letzten Schuljahr an GEDICHTE DICHTEN teilnehmen konnten, haben vielleicht auch eine neue Beziehung zur deutschen Sprache und zu ihrer Herkunftssprache entwickelt.
Für die Zukunft ist geplant, das Projekt GEDICHTE DICHTEN in Köln auszuweiten.

* Ein besonderer Dank geht an Maria Mazza, die Leiterin des Italienischen Kulturinstituts in Köln für die Bereitstellung des Theatersaals für die Performance-Werkstatt.