Integration durch ästhetische Bildung. Eine Nachlese zu Projektpräsentationen anlässlich des Weltflüchtlingstages 2019

Integration durch ästhetische Bildung. Eine Nachlese zu Projektpräsentationen anlässlich des Weltflüchtlingstages 2019

Carmen Cardaci & Detlef Sarrazin • Artikel im ZMI Magazin 2019 S. 38

Zum Ende des Jahres 2017 entstand aus Überlegungen der Fachberater*innen Integration durch Bildung bei der Bezirksregierung Köln das konkrete Vorhaben, auch „weitere“ – andere, im Verständnis erweiterte – Wege der Integration zu gehen. Mit Unterstützung des Leiters der Arbeitsstelle Migration, LRSD Manfred Höhne, wurde die Projektinitiative „Integration durch ästhetische Bildung“ auf den Weg gebracht.
Sport war einer der Bereiche ästhetischer Kultur, Musik und Kunst sollten weitere Tätigkeitsfelder bieten. Einmal losgelöst vom oft „rein“ auf Sprache zentrierten Blick hatten sich bis zum Januar 2019 fünf Pilotschulen mit Initiativen gefunden:
• das Berufskolleg Werner-von-Siemens in Köln mit einem Drum-Circle,
• die Gesamtschule Waldbröl mit einem Circus-Projekt,
• das Städtische Gymnasium Eschweiler mit einer Initiative Rhythmischen Sprechgesangs,
• die LVR-Anna-Freud-Schule in Köln mit einem Tanzmodul, begleitet durch ein speziell entwickeltes Musikinstrument, das Globophon und die
• LVR-Johann-Joseph-Gronewald-Schule in Köln durch ein Theaterstück.
Allen Projekten gemeinsam war die Grundidee der Projektinitiative, wertschätzend durch die Fokussierung auf andere Talente, Fähigkeiten und Fertigkeiten, Kommunikation und Integration zu initiieren und wirksam werden zu lassen. Unsere schulische Sprachförderung ist oftmals zentriert auf Sprache, Verbalisierungen und darin bleibt trotz allen unterstützend motivierenden Arbeitens für die neu hier ankommenden Menschen immer ein Moment der Defizität präsent. In den Projekten sollen die jungen Menschen – ganz bewusst losgelöst davon – mit den bei Ihnen vorhandenen Talenten wertschätzend eingebunden werden. Eine Musik/ein Gesang in ihrer Sprache, ein Rhythmus oder Tanz, der Sprache nicht braucht, eine Pantomime oder eine Darstellung, die mehr sagt als Worte – und die auf alle doch integrierend wirken. Hier sind alle zusätzlich motiviert dabei, weil sie sich in ihrem Tun wertgeschätzt fühlen können, werden Ebenen der Kommunikation genutzt, die tiefer gehen und wirken als Sprache und so entsteht ein nachhaltigeres wertschätzendes Miteinander in den einzelnen Gruppen und auch unter allen Beteiligten, denen die Initiativen präsentiert werden.
Die Präsentation fand statt anlässlich des Weltflüchtlingstages 2019 am 18. Juni an der LVR Johann-Joseph-Gronewald-Schule, einer Förderschule für Gehörlose. Diese besondere Herausforderung in der Mitwirkung der Schule und als Veranstaltungsort erwies sich als besonders positiv wirksam. Alle verbalen Teile der Veranstaltung wurden von den Kolleg*innen der Schule jeweils parallel gebärdet.
Den Anfang des Tages machte die LVR-Anna-Freud-Schule mit einem Kulturprogramm Tanz und Musik unter Leitung von Sarah Schuhmacher und Uta Oster. Ausgehend von der Grundidee der Vermittlung ästhetischer Bildung basierend auf der Körperarbeit durch den Tanz präsentierten die Schüler*innen unterstützt durch das Globophon, vier Musikern und Schülerinnnen und Schülern aus dem Tanzmodul der Q1 einen kleinen Eindruck ihrer alltäglichen Arbeit.
Es folgte die LVR-Johann-Joseph-Gronewald-Schule mit einem Stück der Theater-AG unter Leitung von Barbara Weidenhöfer, Anne Niemeyer und Anne Giefers. In einem Stück mit Rittern und Edeldamen auf der Grundlage von Gedichten und Liedern der Sänger*innen des Mittelalters ging es um „Liebe“, „Ehre“ und „Treue“. In einem stetigen Austausch zwischen Gebärdensprachlern und Nicht-Gebärdensprachlern als gemischten Schauspieler*innen und einem gemischten Publikum (Hörgeschädigte sowie „Unbeeinträchtigte“) wurde ein hochklassiges Theaterstück vorgeführt, das alle Zuschauer*innen erreichte und sie in einer gemeinsamen Welt fast universaler Sprache zusammenführte.
Die Fortsetzung übernahm die Gesamtschule Waldbröl mit Clowns und Helden im Circus Rappelino unter Leitung von Frau Wallbaum-Buchholz. Der Circus Rappelino hat bereits eine langjährige Tradition an der Schule und „ist damit häufig UNSER Gesicht“. Dazu gehören nunmehr auch die Kinder der Internationalen Klasse. Zirkus/Circus lebt neben den Akrobaten, deren Aktionen einen staunen lassen, besonders von den Clowns, die einem das Lachen ins Gesicht zaubern … häufig, weil sie im Bereich der Sprache mit Wenigem, aber vor allem Pointierten auskommen. Es sind die kurzen, prägnanten Sätze, die hier wirken – passgenau für Kinder, die die Sprache noch lernen müssen. Zirkus/Circus ist aktiv und kann ohne Worte auskommen, im kreativen Tun. Damit ist die Idee des Zirkus´/Circus´ passgenau zum Konzept der ästhetischen Bildung.
Danach präsentierte sich das Gymnasium Eschweiler mit „Wir spielen uns frei“ unter Leitung von Winfried Grunewald, Miriam Erbstößer und Beate Coenen. Internationale Schüler*innen erhoben ihre Stimmen in ihren Muttersprachen und in der Zielsprache Deutsch. Nach einem rhythmischen Sprechgesang, wurden Aphorismen aus aller Welt rezitiert. Sprache zeigte sich hier als Brücke zwischen schlichten Sprachstrukturen und hohem Reflexionsniveau. Trotz der teilweise sehr verdichteten Sprache konnte gerade der zentrale Aussagegehalt des Sprechgesangs, „Wann, wenn nicht jetzt. Wer, wenn nicht wir. Wie, wenn ohne Liebe. Wo, wenn nicht hier.“, schnell von allen Zuschauer*innen mitgesprochen und mitgebärdet werden.
Den Abschluss der Einzeldarbietungen übernahm das Werner-von-Siemens-Berufskolleg mit seinem Drum-Circle unter Leitung von Nikolas Geschwill; verantwortlicher Lehrer war Boris Haberl. Das Drum-Circle-Konzept basiert auf der Drum-Circle-Philosophie von Arthur Hull und ist explizit dafür ausgelegt, Nichtmusiker an das aktive Erleben musikalischer Phänomene und damit Mitmusizieren heranzuführen. Die Schüler*innen und Herr Geschwill verteilten an das Publikum Schlaginstrumente, die quasi „voraussetzungsfrei“ auch von Laien bedient werden können. So war für alle unmittelbar erfahrbar, was theoretisch beschrieben wird als Entwicklung und Festigung von Kompetenzen wie Interaktions- und Teamfähigkeit, Förderung von Konzentration und Aufmerksamkeit, Reaktionsfähigkeit und Geschwindigkeit, sowie eine generelle Wachsamkeit und verbessertes allgemeines Sozialverhalten – man hörte aufeinander.
Der tosende Applaus aus Händen und Instrumenten wurde überführt in das gemeinsame Abschlusslied. Mit freundlicher Genehmigung des Managements „Die Fantastischen Vier feat. Clueso“ wurde „Zusammen“ gesungen, getanzt, gebärdet, getrommelt … Dieses „Zusammen“ machte deutlich, welcher Erfolg in den Einzelinitiativen gelegen hatte. Jede für sich hatte an ihrer Schule Menschen zusammen gebracht. Sie hatten sich anders, mit ihren Talenten, Fähigkeiten und Fertigkeiten in einer Initiative einbringen können, die in sich und in dieser Veranstaltung hier Wertschätzung erfahren haben. Und hier führte sie alle zu einem Lied, „Zusammen“ im Erleben von Gemeinschaft – wie besser lässt sich Integration motivierend mit Begeisterung aller Beteiligten erreichen!?!
Das Résumé aller Beteiligten: eine fantastische Veranstaltung, die zeigt, welche integrative Kraft auch und besonders in Momenten ästhetischer Bildung steckt. Damit verbunden war der Wunsch und die Aufforderung, diesen Weg weiter zu gehen mit den Worten der Gruppe des Gymnasiums Eschweiler „Wann, wenn nicht jetzt. Wer, wenn nicht wir. Wie, wenn ohne Liebe. Wo, wenn nicht hier.“ Wir sind zusammen hier und haben eine gemeinsame Aufgabe und Verantwortung, jetzt und jeden Moment weiter für ein „Zusammen“ aller Menschen!