Sprache ist ein nie endendes Konzept” Interview mit Nilgün Filiz, Amana – Kita BFmF e.V.

Sprache ist ein nie endendes Konzept” Interview mit Nilgün Filiz, Amana – Kita BFmF e.V.

Das Gespräch führte Elcin Ekinci. • Artikel im ZMI Magazin 2019 S. 32

Wie war Ihr beruflicher Werdegang?
Ich bin gelernte Kinderpflegerin. Nach zehn Jahren in einer Elterninitiative habe ich Soziale Arbeit studiert und danach meinen Master in Sozialmanagement gemacht. Seit der Eröffnung 2014 leite ich die Kita Amana in Köln.
Was bedeutet Amana?
Amana kommt aus dem Arabischen: أمان (Aussprache: amaana). Es wird am Besten mit anvertrauen übersetzt. Auf Türkisch heißt es “emanet etmek”. Die Kinder werden uns von den Familien anvertraut. Da fängt es schon mit der Mehrsprachigkeit an, wenn im Arabischen ein Wort für einen ganzen Satz im Deutschen steht. So vielfältig ist die Sprache.
Was ist Amana für eine Tagesstätte?
Wir sind eine U3-Kita, Kinder ab dem sechsten Monat bis zum dritten Lebensjahr können zu uns kommen. Bei uns arbeiten mehrsprachige Erzieherinnen und eine monolinguale Erzieherin. Arabisch-deutsch, türkisch-kurdisch-deutsch und bosnisch-deutsch sprechende Erzieherinnen sind Teil des Teams, sie bringen viel Sprachinput mit. Die Kinder sind bei uns auch alle mehrsprachig, zwei-, wenn nicht sogar dreisprachig. Wir haben aber auch Kinder, deren Muttersprache unsere Erzieherinnen nicht beherrschen, etwa deutsch-polnische oder deutsch-hebräische Kinder. Neuerdings haben wir ein Kind, dessen Eltern gehörlos sind und Gebärdensprache können, und aus dem Irak stammen. Egal welche Sprache Eltern und Kinder mitbringen, wir sehen das als Ressource an. Die Erzieherinnen versuchen jetzt zum Beispiel, ein wenig Gebärdensprache zu lernen, damit wir mit den Eltern kommunizieren können. Die Mutter kann auch arabisch schreiben, sie schreibt vieles auf und die deutsch-arabische Erzieherin übersetzt dann. Kommunikation auf allen Ebenen ist möglich.
Welchen Ansatz hat Ihre Kita?
Schwerpunkt ist die Mehrsprachigkeit, der “Translanguageing-Ansatz”, auch Quersprachigkeit genannt. Als wir die Kita eröffneten, wussten wir gar nicht, dass es diesen Ansatz gibt. Wichtig war uns von Anfang an, situationsorientiert zu arbeiten. Wir haben mehrsprachige Kinder und Erzieherinnen, warum sollen wir diese Ressource im Alltag nicht verwenden? Wenn die Erzieherin deutsch-türkisch ist und in einer bilingualen Kita arbeitet, soll sie dann nur Deutsch sprechen oder nur Türkisch? Dann ist sie nur die Türkisch sprechende oder die Deutsch sprechende Erzieherin. Das ist aber nicht die Realität. Die Realität ist, dass die Erzieherin in ihrem Alltag beide Sprachen benutzt. Es ist nicht authentisch, wenn sie beispielsweise mit den Kindern nur Türkisch redet und sich mit der Kollegin plötzlich auf Deutsch unterhält. Das Kind fragt sich dann doch, warum redet die türkische Erzieherin mit mir nicht Deutsch? Wir haben unseren Ansatz zunächst situationsorientierte Mehrsprachigkeit genannt, bis wir auf den Begriff Translanguaging gestoßen sind. Es geht darum, dass die Kinder die Sprache gut beherrschen, ein Sprachrepertoire aufbauen. Das Konzept geht von einem nicht getrennten Sprachschatz aus. Statt etwa Deutsch und Türkisch getrennt ist es etwas Flexibles, Dynamisches und Wechselndes. Es ist völlig normal, zwischen den Sprachen zu wechseln. Die Kinder wissen genau, mit welcher Erzieherin sie Arabisch reden können. Man gestattet den Kindern so, ihr eigenes Repertoire zu entwickeln. Im Alltag der Kita erleben sie eine positive Wertung aller Sprachen. Es gilt die Regel, nicht erst Deutsch lernen um zu partizipieren, sondern sofort zu partizipieren und dann deutsch lernen. Es ist also ein ständiges Geben und Nehmen zwischen Kindern, Eltern und Erzieherinnen.
Wie wichtig ist das Personal?
Wir haben zwei Gruppen mit zwölf Kindern und in jeder Gruppe gibt es drei Erzieherinnen. Wir suchen zusätzlich noch eine deutsch-arabische Erzieherin, aber es ist nicht so einfach, Personal zu finden. Mir ist die Haltung wichtig. Ich habe die Verantwortung als Leiterin, ich möchte alle mitnehmen. Ich habe eine Ausbildung zur Mediatorin und versuche stets eine Lösung zu finden, mit der alle leben können. Unser Ansatz ist eine Herausforderung, die Erzieherinnen müssen auf Vieles achten. Man kann sich das so vorstellen: Eine Erzieherin schaut sich mit einem deutsch-arabischen Kind ein Bilderbuch an und dann kommt ein deutsch-polnisches Kind dazu. Dann sprechen sie den Satz oder die Seite zu Ende und wechseln in die deutsche Sprache. Die Erzieherinnen reden auch immer viel mit den Eltern, um zu erfahren, was denen wichtig ist. Welche Sprache sprecht ihr zu Hause? Was sollen die Kinder hier lernen? Die meisten Eltern sagen uns, dass sie zu Hause sehr viel Deutsch sprechen.
Ist Ihr Ansatz ein Vorbild für andere Einrichtungen?
Wir laden ExpertInnen zum Austausch und oder zu einer Fortbildung ein. Ich bin oft in anderen Kitas, um unser Konzept vorzustellen. Wir bekommen von unterschiedlichen Berufskollegs Anfragen, um unseren Ansatz zu präsentieren.
Wie sagen Sie zu dem Vorwurf, einen Sprachensalat zu produzieren?
Alle Kinder sind mehrsprachig. Wenn die Kinder merken, dass die Eltern uns vertrauen, ist es einfach. Beispielsweise hatten wir letztes Jahr auch ein deutsch-hebräisches Kind. Die gemeinsame Sprache ist Deutsch. Kein Kind hört hier nur eine Sprache, sondern ist umgeben von Kindern mit unterschiedlichen Sprachen. Für das hebräische Kind zum Beispiel haben wir Vieles in der Muttersprache beschriftet und die Erzieherinnen haben auch einige Wörter Hebräisch gelernt. Ich selber bin zweisprachig und beherrsche etwa im Türkischen die Fachbegriffe nicht so gut. Dafür kann ich auf Türkisch besser Kopfrechnen als im Deutschen. Wieso sollte ich das auf Deutsch machen, wenn ich es auf Türkisch besser kann? Sprache ist ein nie endendes Konzept. Unsere Sprache ändert sich, mein Sprachgebrauch war vor zehn Jahren anders als jetzt. Man geht zur Schule, macht eine Ausbildung, hat einen Freundeskreis und in jeder Situation habe ich einen anderen Wortschatz. Wir haben auch in der Pädagogik Fachbegriffe, die nicht jedem geläufig sind.
Wie gehen die Eltern mit dem Konzept um?
Die Eltern wissen, dass die Kita einen muslimischen Träger hat, das ist schon etwas Besonderes. Wir haben aber auch Familien nicht muslimischen Glaubens. Es geht nicht nur um das sprachliche Konzept, sondern darum, ganzheitlich die Lebensrealität so gut wie möglich abzulichten. Zweimal im Jahr machen wir einen Elternabend, bis jetzt haben wir keine negative Rückmeldung bekommen. Die Bedenken betreffen eher die Zukunft, wenn die Kinder in eine weiterführende Einrichtung kommen und dort teilweise verboten wird, die Muttersprache zu sprechen.
Welches Fazit ziehen Sie nach fünf Jahren Kita Amana?
Ich würde es heute genauso machen wie damals. Unseren Ansatz finde ich sehr gut, er ist offen und beinhaltet auch Aspekte wie Reflektion. Man muss sich immer auch selbst hinterfragen. Welche Machtsymmetrien gibt es in der Kita? Welche Macht habe ich gegenüber den Kindern? Solche Aspekte haben wir von Anfang an mitbedacht. Es geht um die Haltung: Wir sagen, alle Sprachen können in der Kita von den Kindern gesprochen werden, ohne eine Wertigkeit der Sprachen vorzunehmen. Also Vielfalt auf jeder Ebene. Wir sind als nachhaltige Kita von der Universität Bonn ausgezeichnet worden, ein Pluspunkt in der Preisverleihung war das Thema Mehrsprachigkeit.
Was halten Sie von bilingualen Kitas?
Jede Kita muss selbst entscheiden, welches Konzept zu ihr am besten passt. Wenn Eltern ihr Kind auf eine deutsch-englische bilinguale Kita schicken, ist das selbstverständlich legitim. Aber wenn sie zu Hause kein Englisch sprechen und trotzdem möchten, dass ihr Kind vor dem Schuleintritt Englisch spricht, ist das eine andere Herangehensweise als unsere. Wir wollen die Kinder so erziehen, dass unsere Arbeit an ihre vielfältige Lebenswelt angepasst ist. Kinder und Erzieherinnen bringen Ressourcen mit, die wir optimal nutzen möchten. Warum sollten wir so tun, als ob die Erzieherin nur eine Sprache spricht? Die Kinder sollen mit der Normalität Mehrsprachigkeit groß werden.
Werden Sie besonders gefördert?
Wir beantragen keine finanziellen Hilfen vom Land oder vom Bund, da die bürokratischen Hürden und der Aufwand zu groß sind. Schade ist, dass es keine Pauschalen gibt, insbesondere für den Inklusionsbereich. Das müsste flexibler und einfacher gestaltet werden. Ich würde gerne dabei unterstützt werden, unser Konzept weiter zu entwickeln. Der Bedarf ist auf jeden Fall da, doch wir haben hier in unseren Räumlichkeiten nicht die Möglichkeit uns zu vergrößern.
Welche Tipps haben Sie für interessierte Kitas?
Sie sollten den Mut zu haben, sich zu engagieren und endlich zu handeln. Man muss keine Angst haben, sich nur öffnen für das, was die Kinder und Erzieherinnen mitbringen.
Vielen Dank für das Gespräch.