Sprache und Mehrsprachigkeit im Geographieunterricht

Sprache und Mehrsprachigkeit im Geographieunterricht

von Dr. Veit Maier • Artikel im ZMI Magazin 2020, S. 19

Sprache besitzt im Fach Geographie eine besondere Rolle. Hier wird nicht nur natur- und gesell-schaftswissenschaftliches Wissen sprachlich miteinander verbunden, sondern Migration und die häufig damit zusammenhängende Mehrsprachigkeit sind selbst zentrale Inhalte in diesem Fach. Die Realität einer heterogenen Schülerinnen- und Schülerschaft wird so im Unterricht aufgegriffen.

Sprache vermittelt Informationen
Sprache vermittelt Informationen. In der Schule ist dies von besonderer Relevanz, denn sie ist hier Lerngegenstand und Lernmedium zugleich. Im Geographieunterricht werden beispielsweise Unterschiede zwischen Flucht und Arbeitsmigration thematisiert. Dabei werden dann inhaltliche Unterschiede, wie die unterschiedliche Motivation der Migration, versprachlicht und zum Beispiel überprüft, welche Begriffe Politikerinnen und Politiker verwenden und welche Absicht sie mit der entsprechenden Formulierung verfolgen. Budke und Kuckuck (2017:7ff) haben sich mit der Bedeutung von Sprache im Geographieunterricht auseinandergesetzt und fünf Diskurse identifiziert, die hier kurz umrissen und mit aktuellen Forschungsentwicklungen ergänzt werden sollen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Mehrsprachigkeit gelegt.

Die Bedeutung von Sprache im Geographieunterricht
Integration durch Sprachförderung: Mit der Zuwanderung und Integration von jungen Menschen mit einer anderen Herkunftssprache als Deutsch geht die schulische Aufgabe einher, diesen Menschen Fördermöglichkeiten zu bieten. Multilinguale Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler können im Geographieunterricht auch einen Beitrag zum fachlichen Lernen leisten. Durch die Nutzung unterschiedlicher sprachlicher Materialien, wie zum Beispiel Zeitungsartikel, Internetposts oder Plakate, kann dem Prinzip der Multiperspektivität im Unterricht entsprochen werden. So kann nicht nur die geographische Bildung gefördert werden, sondern auch identitätsbezogenes Lernen und Sprachbewusstsein (Weißenburg 2013:32f). Beispielsweise wurde für ein Projekt eine virtuelle Rhein-Exkursion in zehn Sprachen übersetzt und vertont.1 Maier und Budke (2019) stellen allerdings fest, dass mehrsprachige angehende Geographielehrkräfte selbst monolingual auf Deutsch unterrichtet wurden und sie diese Handhabung in Bezug auf die eigene zukünftige Berufspraxis nicht in Frage stellen.
Bilingualer Geographieunterricht: Bilingualer Geographieunterricht existiert seit den 1960er Jahren. Das Schulfach Erdkunde eignet sich im besonderen Maße für die bilinguale Vermittlung, da viele Themen sehr anschaulich sind (z. B. Stadt-Land-Vergleiche) und daher deskriptive Sprachhandlungen eine hohe Relevanz haben (Kultusministerkonferenz 2013:13). Besonders im Bereich des interkulturellen Lernens, dem in den Bildungsstandards des Fachs eine besondere Rolle zukommt (DGfG 2020:30), besteht landeskundlicher Bezug. Prinzipien für den erfolgreichen bilingualen Geographieunterricht werden beispielsweise bei Meyer (2009) vorgestellt. Eine der bekanntesten Methoden ist vermutlich das sogenannte Scaffolding, bei welcher sprachliche Gerüste in Form von entlastenden Vorgaben helfen. Verschiedene Strategien zur sprachlichen Förderung von Schülerinnen und Schülern im bilingualen Geographieunterricht werden von Morawski und Budke (2017) genauer untersucht und dargelegt.
Kommunikationskompetenz: Mit der Formulierung der Bildungsstandards im Fach Geographie wurde die Kommunikation als einer von sechs Kompetenzbereichen definiert. Darunter wird die „Fähigkeit, geographische Sachverhalte zu verstehen, zu versprachlichen und präsentieren zu können sowie sich im Gespräch mit anderen darüber sachgerecht austauschen zu können“ gefasst (DGfG 2020:21ff). Die Entschlüsselung von gesellschaftlichen Diskursen, beispielsweise zum Klimawandel, ist auch eine Voraussetzung zur Partizipation an diesen. Gerade im Fach Geographie besitzt die Sprache eine besondere Relevanz. Als Brückenfach zwischen Natur-, Geistes- und Gesellschaftswissenschaft verbindet es verschiedene Wissens- und Bildungsbereiche sprachlich miteinander (DGfG 2020:5). Dabei ist die adäquate Verwendung der Fachsprache unabdingbar, um sich mit anderen austauschen zu können. In der Auseinandersetzung mit gesellschaftlich relevanten Themen (z. B. der Zollkonflikt zwischen der EU und den USA) wird im Geographieunterricht reflektiert, wie Informationen gewonnen und verbreitet werden und welche Intentionen dahinter liegen. Bisherige Forschung existiert hier insbesondere im Bereich der Argumentation und Meinungsbildung und zeigt, dass Argumentation im Geographieunterricht sowie in Geographieschulbüchern kaum gefördert wird (Budke 2011, 2012). Kuckuck (2014) stellt dar, dass das Verstehen von raumbezogenen Konflikten für Schülerinnen und Schüler eine Herausforderung bedeutet. Maier und Budke (2018) untersuchen mündliche Argumentation beim räumlichen Planen und verdeutlichen die Bedeutung von Kontroversität.
Linguistic turn: Unter dem Begriff linguistic turn wird vereinfacht die Auffassung verstanden, dass Wirklichkeit und Raum durch Sprache konstruiert werden. Die jeweilige Wortwahl mit zugeschriebener Bedeutung und Intonation bestimmt also das intendierte Raumimage, beispielsweise die Darstellung eines Stadtviertels als Szeneviertel oder gefährliche No-Go-Area. Der handlungsorientierte Ansatz untersucht, wie Akteure Raum durch Sprache konstruieren. Schlottmann (2005) beschäftigt sich mit der Konstruktion von Ost und West im Kontext der deutschen Einheit. Darüber hinaus existieren nur wenige Arbeiten, welche diesen Ansatz in der Geographiedidaktik aufgreifen. Ebenso ist dieser Diskurs in Schulbüchern unterrepräsentiert.
Inklusion durch Sprachförderung: Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention, die ein „integratives Bildungssystem auf allen Ebenen“ zum Ziel hat (United Nations 2006:Artikel 24 (1)), sind auch im Geographieunterricht sprachliche Förderungen für Schülerinnen und Schüler mit Sprachstörungen besonders relevant geworden. Vor diesem Hintergrund sollte den Fachvertreterinnen und Fachvertretern die gesellschaftliche Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler besonders wichtig sein. Geographiedidaktische Forschung zur Sprachförderung bei sprachlichem Förderbedarf fehlt bislang. Die wichtige Zusammenarbeit mit der Sonderpädagogik wurde von Langer (2018) in den Blick genommen. Eine Untersuchung zu Handlungs- und Wahrnehmungsmustern von Geographielehrkräften wies Fortbildungsbedarfe in diesem Zusammenhang nach.

Fazit
Geographieunterricht ist immer auch Sprachunterricht. Migrationsbedingte Mehrsprachigkeit ist daher kein Hemmnis für diesen Unterricht, sondern gerade eine Voraussetzung für die inhaltliche Multiperspektivität. Das muss insbesondere auch Studierenden des Fachs vermittelt werden. Unterschiede zwischen geographischer Fachsprache und Alltagssprache (vgl. Morawski und Budke 2017:64) sowie unterschiedlichen
Raumimages sollten im Schulunterricht reflektiert werden und die Diskussion gesellschaftlich relevanter Themen eingeübt werden. So kann Geographieunterricht in heterogener werdenden Schulklassen durch sprachliches Handeln ein Unterricht für und mit allen Schülerinnen und Schülern werden.

Literatur
Budke, Alexandra. 2011. „Förderung von Argumentationskompetenzen in aktuellen Geographieschulbüchern“. S. 253–63 in Aufgaben im Schulbuch, herausgegeben von E. Matthes und C. Heinze. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Budke, Alexandra. 2012. „Argumentationen im Geographieunterricht“. 1:23–34.
Budke, Alexandra, und Veit Maier. 2019. „Multilingualität in Schule und Hochschule – Erfahrungen und Vorstellungen von Studierenden im Lehramt Geographie“. GW-Unterricht 1:30–40. doi: 10.1553/gw-unterricht156s30.
DGfG, Hrsg. 2020. Bildungsstandards im Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss. 10. Aufl. Bonn: Selbstverlag Deutsche Gesellschaft für Geographie (DGfG).
Kuckuck, Miriam. 2014. Konflikte im Raum. Verständnis von gesellschaftlichen Diskursen durch Argumentation im Geographieunterricht. Bd. 54. Münster: MV-Verlag.
Kultusministerkonferenz. 2013. Konzepte für den bilingualen Unterricht –Erfahrungsbericht und Vorschläge zur Weiterentwicklung. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 17.10.2013.
Langer, Stephan. 2018. Heterogenität im Geographieunterricht: Handlungs- und Wahrnehmungsmuster von GeographielehrerInnen in Nordrhein-Westfalen. Münster: readbox unipress.
Maier, Veit, und Alexandra Budke. 2018. „Wie planen Schüler/innen? Die Bedeutung der Argumentation bei der Lösung von räumlichen Planungsaufgaben“. GW-Unterricht 149(1):36–49.
Meyer, Oliver. 2009. „Content and Language Integrated Learning (CLIL) im Geographieunterricht“. Praxis Geographie 39(5):8–13.
Morawski, Michael, und Alexandra Budke. 2017. „Language Awareness in Geography Education: An Analysis of the Potential of Bilingual Geography Education for Teaching Geography to Language Learners.“ European Journal of Geography 7(5):61–84.
Schlottmann, Antje. 2005. RaumSprache: Ost-West-Differenzen in der Berichterstattung zur deutschen Einheit: eine sozialgeographische Theorie. Stuttgart: F. Steiner.
United Nations. 2006. Convention on the Rights of Persons with Disabilities.
Weißenburg, Astrid. 2013. „‚Der mehrsprachige Raum‘ – Konzept zur Förderung eines mehrsprachig sensiblen Geographieunterrichts“. (131):8–41.