Das WeltABC Köln – eine Lernplattform nicht nur für Zeiten der digitalen Lehre

Das WeltABC Köln – eine Lernplattform
nicht nur für Zeiten der digitalen Lehre

von Francesca Casale • Artikel im ZMI Magazin 2021/22, S. 26

Die mehrsprachige Lernplattform WeltABC wurde Anfang des 21. Jahrhunderts in Wien auf einer Idee von Christian Schreger aufbauend entwickelt. Christian Schreger arbeitete damals in einer Volksschule in Wien und unterrichtete dort auch viele Kinder, die neu nach Österreich eingewandert waren oder eine internationale Familiengeschichte hatten.

Mehrsprachigkeit und kulturelle Heterogenität waren daher grundlegende Themen in
Christian Schregers pädagogischer Arbeit und er setzte sich damit auseinander, wie mehrsprachig oder nicht deutschsprachig aufgewachsene Kinder mit der deutschen Sprache in Kontakt gebracht werden können. In diesem Zusammenhang entwickelte er die WeltABC-Website: eine allgemein zugängliche Website, die von Kindern genutzt und mitgestaltet werden kann. Die Website ist eine „Sammlung“ von Substantiven, die von den Kindern selbst eingegeben werden. Die Lexeme sind alphabetisch geordnet, aber auch über frei assoziierte Begriffe, die von Schüler:innen selbst vorgeschlagen wurden, miteinander verlinkt. Christian Schreger bezieht sich auf die Pädagogik von Célestin Freinet und macht sich das Motto „den Kindern das Wort geben“ zu eigen. Das WeltABC ist keine reine Wortschatzliste, sondern ein flexibles, mehrdimensionales Instrument, das die aktive Beteiligung seiner Nutzenden erfordert.
Auf der Lernplattform WeltABC werden Substantive in digitalen Registerkarten oder auf dem Bildschirm organisiert angezeigt . Zu jeder Karte gibt es Adjektive und Verben, die von Lernenden selbst ausgewählt und eingetragen wurden und die auch ergänzt werden können. Jedes Kind hat so die Möglichkeit, über die Eigenschaften und Tätigkeiten, die mit dem Substantiv verbunden sind, nachzudenken und neu gelernte Wörter direkt mit seinen eigenen Erfahrungen und seinem Lebenskontext in Verbindung zu bringen. Die Lernenden geben auch ihre eigene Definition des Lexems in einem kurzen, völlig freien Text an. Jede Karte enthält ein Bild und eine Audiodatei der Aussprache des Wortes. Es ist außerdem möglich, Übersetzungen des Wortes in andere Sprachen und im Audioteil die jeweilige Aussprache einzufügen. Die Sprachen können miteinander verglichen werden, sodass auch eine Reflexion über die jeweiligen Sprachen und Sprache allgemein erfolgen kann. Dies fördert den kulturellen und sprachlichen Reichtum der Klasse.

Schließlich befinden sich auf jeder Karte weitere Substantive, die nach Ansicht der Lernenden, die sie eingegeben haben, in ihrer Bedeutung mit dem eingetragenen Sub-stantiv verwandt sind. Diese Substantive sind wiederum verlinkt mit den entsprechenden Karten – beispielsweise kann bei der Karte zum Wort „Hase“ der Begriff „Möhre“ angeklickt werden, sodass sich die entsprechende Karte mit dem Bild und den Begriffen zur „Möhre“ öffnet. So entsteht eine hypertextuelle Organisation von Wörtern durch Verlinkungen, die mit der jeweiligen Erfahrung der Person, die sie eingegeben hat bzw. eingibt, und mit ihrem kulturellen Kontext verbunden ist. Die Art des Denkens und der Verarbeitung von Erfahrungen spiegelt sich also in der Art und Weise wider, wie die Wörter erklärt, veranschaulicht und kontextualisiert werden. Die sich daraus ergebende Reflexion ist nicht nur sprachlich, sondern öffnet durch die Mehrsprachigkeit die Tür zur Auseinandersetzung mit verschiedenen kulturellen Hintergründen und einer interkulturellen Bildung.

Das WeltABC wurde als Werkzeug für die Arbeit auf semantischer und morphologischer Ebene konzipiert und ermöglicht darüber hinaus die Auseinandersetzung mit der Mehrdeutigkeit einzelner Wörter. Im Wiener Kontext wurden vor allem die deutsche und die kurdische Sprachversion umgesetzt. Das WeltABC wird dort hauptsächlich im Rahmen des Deutschunterrichts verwendet ; Deutsch kann daher als Zielsprache des WeltABC definiert werden, und es ist, ausgehend vom Deutschen, offen für den Vergleich mit anderen Sprachen. Mit der Ankunft in Köln ändert das WeltABC teilweise seinen Zweck und seine Funktion. Das Projekt wird vom ZMI Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration Köln gefördert. Dabei wird vor allem der Aspekt der Mehrsprachigkeit ausgebaut und das Projekt so für den Unterricht auch anderer Sprachen als Deutsch genutzt. Die Sprachen des WeltABC Köln sind: Deutsch, Kurdisch, Italienisch, Türkisch, Spanisch und Polnisch. Die Schüler:innen können somit die Webseiten vollständig in den oben genannten Sprachen nutzen und umsetzen.
Das WeltABC in der Kölner Fassung wird auch im Herkunftssprachlichen Unterricht (HSU) verwendet. Dieser richtet sich in erster Linie an Kinder und Jugendliche, die unabhängig von ihrer Schulbildung durch ihre Familie oder ihren Geburts- oder Wohnort eine Beziehung zu der unterrichteten Sprache haben. Die Verbindung zu der jeweiligen Sprache ist oft ein integraler Bestandteil der sozialen und kulturellen Identität der Schüler:innen. So führt die Arbeit mit dem WeltABC auch zu einem Austausch über die eigene kulturelle Identifikation und einer Reflexion über kulturelle Heterogenität.

Um die Arbeit an den verschiedensprachigen Versionen der Website zu koordinieren, wurde eine Gruppe von Lehrkräften gebildet, die sich mit den jeweiligen Sprachen befasst. Die Lehrer:innen sind: Mehmet Boti und Ali Haj Hussein für Kurdisch, Gian Luca Bonucci und Suzanne De Faveri für Italienisch, M. Naci Özcelik und Mustafa Taylan für Türkisch, mit Maria Dolores Tiestos del Castillo, Mari Angeles Navarro und Maria Victoria Claros für Spanisch, Anna Herling für Polnisch. Francesca Casale ist für die Koordinierung der verschiedenen Arbeitsgruppen zuständig.

Die Arbeit mit dem WeltABC Köln läuft seit 2020 – also auch während des Lockdowns und den Zeiten des digitalen Unterrichts. Es war in einigen Fällen eine zusätzliche Möglichkeit, die Schüler:innen zu erreichen und ihr Interesse zu wecken.

Anna Herling – verantwortlich für die polnische Version der Website – beschreibt :
„Die Kinder fanden es toll, an einem Projekt zu arbeiten, dessen Ergebnisse im Internet zu sehen sind, also einem großen Publikum zugänglich sind / sein werden. “
Die Möglichkeit, ein Produkt in der Sprache, die von den Schüler:innen häufig zu Hause oder im privaten Umfeld gesprochen wird, im Internet sichtbar zu machen, trug dazu bei, das Interesse an der Sprache selbst zu wecken und sie in andere Zusammenhänge zu stellen. Nach Ansicht von Mehmet Boti aus dem Team der Lehrkräfte trage dies dazu bei, dass sich die Schüler:innen ihrer Erstsprache bewusster würden und ihr die gleiche „Wertigkeit “ wie der deutschen Sprache zusprächen.
Gian Luca Bonucci sagt:
„Wir wünschen uns, dass die Kinder sich in ihrer eigenen Sprache immer freier äußern können und dabei auch Interesse an anderen Sprachen entwickeln.
Gerade den Aspekt der Mehrsprachigkeit in Schule und Gesellschaft und den spielerischen und unterhaltsamen Vergleich verschiedener Sprachen erkennen die Kolleg:innen als Hauptbeitrag des Einsatzes des WeltABC in ihrem Unterricht. Vor allem die aktive Rolle der Kinder heben sie dabei als positiv hervor.
So erklärt zum Beispiel Anna Herling:
„WeltABC ist ein großartiges Projekt für mich. Zum einen macht es Nutzende zu Gestaltenden. Dies unterscheidet das digitale Wörterbuch von den herkömmlichen sprachlichen Hilfsmitteln. Kinder und Jugendliche bestimmen den Inhalt selbst und offenbaren auf diese Art und Weise, welche für sie die zentralen, wichtigen Wörter sind.”
Suzanne De Faveri zeigt auf, wie die Verwendung des WeltABC die grammatikalische Reflexion im Unterricht erleichtert hat:
„Die Kinder vertiefen die Bedeutung eines Substantivs, indem sie sich genau mit dessen Eigenschaften und verknüpften Handlungen beschäftigen, das Substantiv beschreiben und dabei den gesamten Wortschatz erweitern. Grammatikalisch werden die drei Kategorien Nomen, Adjektive und Verben noch besser verdeutlicht“.

Darüber hinaus beschreiben die Lehrkräfte, mit wieviel Begeisterung und Vitalität die Schüler:innen sich mit dem WeltABC auseinandersetzen:
„Mit Neugierde und Interesse am Anfang der Arbeit haben sie überlegt und reflektiert, sich mit anderen ausgetauscht, um weitere Vorschläge und Ergänzungen zu finden.”

Der veränderte Kontext durch den gezielten Einbezug mehrerer Sprachen machte einige technische Aktualisierungen erforderlich, die von dem Programmierer Herrn Raidel entworfen und umgesetzt wurden. Was für alle Kolleg:innen ein absolutes Muss war, war der direkte und einfache Vergleich von Sprachen und die Möglichkeit, leicht von einer Version in einer Sprache zu einer anderen Version in einer anderen Sprache zu „springen“. Im WeltABC Köln ist es möglich, frei zwischen den fünf Sprachen zu navigieren und Wörter mit einem einfachen Klick zu vergleichen.

Eine weitere neue Funktion sind die Hashtags: Wörter werden in Kategorien eingeteilt, die von den Kindern direkt bei der Eingabe festgelegt werden.
Hierdurch wird die Reflexion über die semantischen Beziehungen zwischen den Wörtern angeregt und die Kinder werden darin unterstützt, ihren gelernten Wortschatz logisch zu strukturieren. Ein weiterer neuer Aspekt der Kölner Version ist, dass die Lernenden im HSU in Bezug auf Sprachkenntnisse und Alter oft heterogen sind. Das WeltABC Köln kann als didaktische Instrument differenziert eingesetzt werden, indem mit älteren und leistungsstärkeren Kindern auch abstraktes Vokabular erarbeitet wird, welches das Nachdenken über den Gebrauch terminologischer Sprache und die Verwendung von Bildern zur Darstellung eines Konzepts beinhaltet.
Gian Luca Bonucci beschreibt, dass das WeltABC durch seine Nutzung zum Leben erwache und dass durch seinen Einsatz auch neue Funktionen entdeckt würden.

Weitere zukünftige Entwicklungen des WeltABC sehen die Lehrer:innen im Bereich des kreativen Schreibens. Naci Özcelik schlägt zum Beispiel vor, dass Kinder gemeinsam kleine mehrsprachige Bücher erstellen oder die Website zur Leseförderung genutzt wird. Eine Möglichkeit könne auch die Unterstützung bei Hausaufgaben sein, da die Kinder dieses Lehrmittel unabhängig und von jedem Gerät mit Internetzugang aus nutzen können.

Das WeltABC ist also ein didaktisches Instrument, das direkt von den Nutzenden erstellt wird und daher eine aktive Haltung erfordert. Die Art und Weise, wie Begriffe erklärt und verknüpft werden, spiegelt die subjektive Welt der unmittelbaren Erfahrung des Kindes wider und ist daher heterogen und lebendig. Das WeltABC ermöglicht es, durch den Vergleich von Sprachen und verschiedenen Verknüpfungen zu kulturellen Hintergründen und Identifikationen Mehrsprachigkeit zu erleben. Es regt das Nachdenken über die grammatikalische und logische Struktur der jeweiligen Sprache an und fördert Kreativität – und es ist ein Instrument, das sich mit den Menschen, die es nutzen, verändert und weiterentwickelt und dessen Zukunft daher offen ist .

Das Welt-ABC wird kontinuierlich erweitert. Zum ersten 01.02.2022 können Sie auf ungefähr 50 Vokabeln in allen angelegten Sprachen zugreifen. Weitere Vokabeln sind bereits erarbeitet und werden in Kürze freigeschaltet.