Plastik trifft Grammatik – Ein fachbezogenes Curriculum für Vorbereitungsklassen

Plastik trifft Grammatik – Ein fachbezogenes
Curriculum für Vorbereitungsklassen

von Anne Raveling • Artikel im ZMI Magazin 2021/22, S. 24

Mehrsprachigkeit ist eine wertvolle Ressource für Schüler:innen. Was jedoch insbesondere neu zugewanderten mehrsprachigen Schüler:innen Schwierigkeiten bereiten kann, ist die fehlende Unterstützung beim Spracherwerb, sowohl in Bezug auf die Familiensprache als auch auf die Zweitsprache Deutsch. Der fachbezogene Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht kann hier entlasten. Methodisch-didaktische Anregungen dazu gibt der nun vorgestellte Auszug aus dem Curriculum für Vorbereitungsklassen (1).

Jene Lernenden, die im schulpflichtigen Alter neu zugewandert sind, müssen sich nicht nur die Alltagssprache aneignen, sondern sind zudem aufgefordert, möglichst schnell die Bildungs- und Fachsprachen zu erwerben, die die Schule und die einzelnen Fächer auszeichnen. Zu Beginn ihrer Schulzeit in Deutschland besuchen sie deswegen i. d. R. sog. „DaZ-Klassen“ bzw., wie sie hier und im Folgenden genannt werden, Vorbereitungsklassen (2). So wird es auch an der Kölner Werner Heisenberg Realschule gehandhabt, an der Unterrichtsmaterialien aus dem Curriculum für Vorbereitungsklassen umgesetzt wurden.

Das fachbezogene Spiralcurriculum für die Sekundarstufe I
Das Curriculum berücksichtigt Erkenntnisse zum Zweitspracherwerb und aktuelle Entwicklungen im Bereich der Mehrsprachigkeitsdidaktik. Durch die Anlage als Spiralcurriculum werden Fächer und entsprechende Inhalte im Verlauf eines Schuljahres erneut und differenziert für verschiedene Sprachniveaus aufgegriffen. Zudem wird das fächerübergreifende Arbeiten bereits ab dem ersten Tag ermöglicht. Zur Binnendifferenzierung werden drei Sprachniveaus parallel angeboten: Das Niveau I des Curriculums entspricht in etwa dem GeR-Niveau A1. Es führt über das Niveau II zu den GeR-Niveaus A2.1 für produktive und A2.2 für rezeptive Sprachverwendung. Abgeschlossen wird der Vorkurs mit dem Niveau III, welches produktiv dem GeR-Niveau A2 und rezeptiv dem GeR-Niveau B1 (auch threshold-Niveau genannt) entspricht. Nach dem erfolgreichen Beenden des Vorkurses und mit weiterer, kontinuierlicher sprachlicher und fachlicher Unterstützung ist damit eine beginnende Teilnahme am Regelunterricht möglich. Das Curriculum der Vorbereitungsklasse orientiert sich an den Curricula der Regelklasse, sowohl hinsichtlich der bearbeiteten Lerninhalte als auch der (fach-)sprachlichen Auseinandersetzung mit diesen, und sorgt so für eine Verzahnung von Vorbereitungs- und Regelklasse. In Abbildung 1 in Version 1 ist dargestellt, wie ein:e Schüler:in ohne sprachliche Vorkenntnisse auf dem Niveau I neu einsteigt. Dies ist stets mit dem aktuell im Unterricht behandelten Thema möglich. In Version 2 wird beispielhaft dargestellt, wie ein:e Schüler:in mit ausreichenden Vorkenntnissen auf Niveau II mit dem aktuellen Thema startet und, nachdem der Themenkreis durchlaufen wurde, auf Niveau III fortsetzt (3).
Die fünf Themenbereiche des Curriculums knüpfen inhaltlich an die Sachfächer an. In jedem Zyklus von zehn Unterrichtstagen wird das sprachliche Lernen anhand fachbezogener Inhalte umgesetzt. Im Sinne des handlungsorientierten Unterrichts verbindet das Curriculum sprachliche mit fachlichen Lerninhalten und erarbeitet jene sprachlichen Handlungen wie bspw. Erklären, Beschreiben oder Argumentieren, die typisch für die einzelnen Fächer sind. So z. B. das Beschreiben einer Grafik in den Naturwissenschaften. Fachtexte und verschiedene Textsorten aus den Sachfächern werden von Anfang an rezeptiv und auf dem dritten Niveau auch produktiv eingesetzt. Diese Verschränkung von Lerninhalten der Vorbereitungs- und Regelklasse ist ein Prinzip des Curriculums. Ein weiteres Prinzip ist es, sämtliche vorhandenen Sprachen der Schüler:innen in den Unterricht einzubeziehen, um die Entwicklung der Fachkenntnisse auf einem altersgemäßen Niveau zu unterstützen. Wie diese Prinzipien konkret umgesetzt werden können, wird im Folgenden an einem Beispiel verdeutlicht.

„Plastik im Ozean“ an der Werner Heisenberg Realschule
Im Frühjahr 2021 wurde das Thema „Plastik im Ozean“ aus dem Themengebiet 5: „Natur – Umwelt – Mensch (Naturwissenschaften)“ in einer Vorbereitungsklasse im Schulzentrum Buchheim im Fernunterricht mit Microsoft Teams umgesetzt. Die zehn Schüler:innen der fortgeschrittenen Vorbereitungsklasse waren in unterschiedlichem Stundenumfang den Klassenstufen 6 bis 9 zugeteilt und besuchten den Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht an maximal drei Wochentagen zu insgesamt höchstens zehn Unterrichtseinheiten.
Im reduzierten Stundenumfang der digitalen Beschulung konnten nur einzelne Aktivitäten umgesetzt werden, die dennoch zu einer zusammenhängenden fachlichen und sprachlichen Progression führten. Zum Einstieg verdeutlichte ein Fragebogen die Wichtigkeit des Themas „Plastik im eigenen Leben“, wodurch auch ein thematischer Wortschatz für die kommenden zwei Wochen erarbeitet wurde und die Modalverben ,können‘ und ,sollen‘ wiederholt wurden. An den Folgetagen fanden weitere passende Aktivitäten statt: Ein animierter Film aus dem UN Clean Seas-Projekt fokussierte das Hör-Seh-Verstehen. Gleichzeitig wurden die Fachkenntnisse vertieft und Gelegenheiten geboten, das Thema mehrsprachig zu erarbeiten, da das Video in verschiedenen Sprachen mit deutschen Untertiteln online zur Verfügung stand. Anschließend wurden durch ein Gruppengespräch mündliche Diskursfähigkeiten geschult sowie der Umgang mit mündlichen Fachinformationen geübt, indem die Schüler:innen sich zu den gehörten Informati-
onen Notizen machten. Anhand eines Lesetextes, der Kolumne „Mission Impossible“ aus „fluter“(4), erarbeiteten die Lernenden weitere Fachkenntnisse und vertieften das Leseverstehen sowie den mündlichen Diskurs. Dazu wurde der Text zunächst gemeinsam im Plenum und anschließend als Hausaufgabe gelesen und in der folgenden Sitzung gemeinsam reflektiert. Schließlich wurde nach der Lektüre eines weiteren Textes besprochen, mit welchen Maßnahmen alle zur Reduktion von Plastik beitragen können. Das Thema fand seinen Abschluss in einem Schreibauftrag, bei dem ein argumentierender Text zum Umweltproblem Plastik und zu Vermeidungsmöglichkeiten im Alltag verfasst werden sollte. Somit konnten bedeutsame kommunikative Fertigkeiten anwendungsorientiert und fachbezogen erarbeitet sowie den Schüler:innen zugleich individuelle Handlungsmöglichkeiten für ein alltagsrelevantes Thema aufgezeigt werden.

Deutsch-als-Zweitsprache-Unterricht online
Auch wenn das aktuelle Schuljahr 2021/22 in Präsenz gestartet ist, haben alle Beteiligten eineinhalb Jahre vorwiegend digitalen Lernens hinter sich. Beim Einsatz der Unterrichtsmaterialien an der Heisenberg Realschule waren Phänomene zu beobachten, wie sie vermutlich in vielen Klassen im Rahmen des Onlineunterrichts aufgetreten sind. Dazu zählen eine erschwerte Interaktion, nicht zuletzt durch fehlende Videobilder und instabile Internetverbindungen, sowie allgemein weniger aktive Schüler:innen. Insbesondere für den Erwerb der mündlichen Sprachfertigkeiten sind dies erschwerte Bedingungen. Jedoch sind auch positive Effekte des Onlineunterrichts zu nennen: Die Lehrkräfte und Schüler:innen sammelten Erfahrungen in der Anwendung digitaler Medien und verschiedener (Online-)Applikationen. Vom selbst organisierten Lernen profitierten einzelne Schüler:innen und konnten ausgezeichnete digitale Kompetenzen entwickeln.

Ausblick
In der Unterrichtspraxis wurde deutlich, wie positiv die Schüler:in-nen auf den integrierten Sprach- und Fachunterricht reagierten, da dieser ihnen die Möglichkeit bot, sich anwendungsorientiert auf die bildungs- und fachsprachlichen Anforderungen des Regelunterrichts vorzubereiten. Um einen nachhaltigen Lehrplan für Vorbereitungsklassen ausarbeiten zu können, der sowohl im Präsenz- als auch im Onlineunterricht bestehen kann, sind klare inhaltliche und curriculare Leitlinien notwendig. Diese sollten den integrierten Sprach- und Fachunterricht berücksichtigen und möglichst viele Entwicklungsräume bieten, sodass sich neu zugewanderte Schüler:innen zielgerichtet hin zu einem regulären Fachunterricht bewegen können.

Anmerkungen
1 Marx, Nicole et al. (2018): Entwurf eines Curriculums für den Vorkurs in der Sekundarstufe I an bremischen Schulen. Entwickelt im Rahmen des Projekts „Ausbildung von Lehramtsstudierenden im Bereich Deutsch als Zweitsprache/Fremdsprache“ an der Universität Bremen. Eingereicht am 31.01.2018 bei der Senatorischen Behörde für Kinder und Bildung, Bundesland Bremen.
2 vgl. Massumi u.a. 2015
3 „Eine ausführliche Beschreibung des Curriculums für Vorbereitungsklassen und der zugehörigen Unterrichtsmaterialien zu „Plastik im Ozean“ ist nachzulesen in Raveling/Reichert/Marx (2021): Curriculare Überlegungen für die Förderung schriftsprachlicher Fähigkeiten in Vorbereitungsklassen der Sekundarstufe I. In: MatDaF 105, https://doi.org/10.17875/gup2021-1591“
4 fluter. Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung (Nr. 25, 2014)

Literatur
Cummins, Jim (2000): Language, Power and Pedagogy. Bilingual Children in the Crossfire. Clevedon/Buffalo/Toronto/Sydney: Multilingual Matters.
Hessel, Annina K./Strand, Steve (2021): Proficiency in English is a better predictor of educational achievement than English as an Additional Language (EAL). In: Educational Review, Volume 73, Issue 4. United Kingdom: Routledge.
Marx, Nicole/Steinhoff, Torsten (2021): Können einzelsprachliche Interventionen sprachenübergreifende Effekte haben? Wie die schulische Majoritätssprache Herkunftssprachen fördern kann. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Volume 24, Issue 4. Springer.
Marx, Nicole/Gill, Christian/Brosowski, Tim (2021): Are migrant students closing the gap? Reading progression in the first years of mainstream education. In: Studies in Second Language Acquisition. Cambridge University Press. S. 1–25.
Massumi, Mona et al. (2015): Neu zugewanderte Kinder und Jugendliche im deutschen Schulsystem. Bestandsaufnahme und Empfehlung. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache/Zentrum für LehrerInnenbildung der Universität zu Köln. Online unter: https://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Publikationen/MI_ZfL_Studie_Zugewanderte_im_deutschen_Schulsystem_final_screen.pdf, zuletzt abgerufen am 01.09.2021
Raveling, Anne/Reichert, Marie-Christin/Marx, Nicole (2021): Curriculare Überlegungen für die Förderung schriftsprachlicher Fähigkeiten in Vorbereitungsklassen der Sekundarstufe I. In: Freudenberg-Findeisen, Renate/Harsch, Claudia/Middeke, Annegret (Hg.): Zur sprachlichen und gesellschaftlichen Integration neu zugewanderter Menschen. Eine Bilanz. Materialien Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, Bd. 105. Göttingen: Universitätsverlag Göttingen. S. 115–134.f