Einbindung der Familiensprachen in Bildungsprozesse – Eine Workshopreihe für Regellehrkräfte und Lehrkräfte des Herkunftssprachlichen Unterrichts

Einbindung der Familiensprachen in Bildungsprozesse –
Eine Workshopreihe für Regellehrkräfte und Lehrkräfte des Herkunftssprachlichen Unterrichts

Artikel im ZMI Magazin 2021/22, S. 47

In den letzten Jahren hatten Workshops, Weiterbildungen und Tagungen des ZMI – Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration für Lehrkräfte des Herkunftssprachlichen Unterrichts (HSU) großen Zulauf. Bei diesen Veranstaltungen wurde von vielen HSU-Lehrkräften der Wunsch nach zusätzlichen und inhaltlich aufeinander aufbauenden Angeboten sowie nach Möglichkeiten einer stärkeren Vernetzung mit Kolleg:innen aus dem HSU und Fachunterricht geäußert. Vor diesem Hintergrund konzipierten das Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache der Universität zu Köln, das ZMI – Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration und das Kommunale Integrationszentrum Köln (KI) gemeinsam das Weiterbildungsangebot „Einbindung der Familiensprachen in Bildungsprozesse – Eine Workshopreihe für Regellehrkräfte und Lehrkräfte des Herkunftssprachlichen Unterrichts“.
Ein weiterer Anlass für die Konzipierung der Workshopreihe war eine Änderung des Erlasses „Herkunftssprachlicher Unterricht“ (BASS 13-61 Nr. 2)1 durch das Ministerium für Schule und Bildung des Landes NRW. Durch die Änderung vom 28. Mai 2020 sollen eine Verknüpfung des HSU mit dem Unterricht in den Fächern und das gemeinsame Unterrichten von Lehrkräften des HSU und Regellehrkräften gefördert werden.
Inhaltlich knüpft die Workshopreihe an den von Lehrkräften geäußerten und aus dem genannten Erlass entstandenen Bedarf an, gemeinsam Konzepte für eine Verknüpfung von HSU und Fachunterricht sowie für gemeinsame, mehrsprachige Unterrichtssettings zu entwickeln und zu implementieren. Die Themen umfassen hierbei u. a. das Unterrichten in sprachlich heterogenen Klassen, die didaktische Öffnung verschiedener Unterrichtsfächer für Mehrsprachigkeit sowie die Gestaltung von Kooperation und Transfer zwischen verschiedenen Fachdisziplinen. Dabei wird auch auf aktuelle Überlegungen aus wissenschaftlichen und praxisbezogenen Diskursen Bezug genommen, die sich mit Translanguaging-Ansätzen und der Einbeziehung des gesamtsprachlichen Repertoires von Schüler:innen (vgl. Gantefort & Maahs 2020) als Ressource für Bildungsprozesse beschäftigen.
In der Workshopreihe bilden teilnehmende HSU- und Regellehrkräfte je ein Tandem bzw. eine kleine Arbeitsgruppe, in der verschiedene Perspektiven zusammenkommen. Wenn möglich, nehmen je eine HSU- und eine Regellehrkraft aus derselben Schule teil, da sie so die entwickelten Konzepte gemeinsam an ihrer Schule implementieren können. Zugleich soll es während des Workshops zu einem intensiven schul- und fächerübergreifenden Austausch kommen, beispielswiese über bereits bestehende oder angedachte Möglichkeiten, Mehrsprachigkeit in verschiedenen Schulkontexten einzubeziehen.
Als konkretes Ergebnis sollen alle teilnehmenden Lehrkräfte einen individuellen und auf ihre konkrete Schule bzw. Arbeitssituation zugeschnittenen Handlungsplan für eine vermehrte Einbindung der Familiensprachen in Bildungsprozesse und das gesamte Schulleben entwickeln. So können sie nach dem Workshop im Schulalltag unmittelbar mit einer schrittweisen Umsetzung des Erarbeiteten beginnen. Die Handlungspläne werden ab Beginn der Reihe entwickelt und im kritisch-konstruktiven Dialog sowohl mit den anderen Teilnehmenden als auch mit Wissenschaftler:innen oder Fachkräften aus Bezirksregierung Köln, Stadt Köln und Universität zu Köln sukzessive ausgebaut. Zu einzelnen Themenbereichen stellen eingeladene Dozierende aktuelle Theorien und Forschungsergebnisse vor und geben Impulse für die gemeinsame Erarbeitung konkreter Ideen, Methoden und Materialien zur Verknüpfung von HSU und Fachunterricht. Auf diese Weise können Konzepte entstehen, die unmittelbar in der Praxis anwendbar sind, dabei aber gleichzeitig langfristige Zukunftsperspektiven, wissenschaftliche Erkenntnisse und formale Rahmenbedingungen berücksichtigen.
Die erste Workshopreihe konnte im November 2020 starten, musste aber aufgrund der Pandemiesituation vollständig digital durchgeführt werden. Sie war binnen kürzester Zeit mit 24 Teilnehmenden ausgebucht. Die Reihe bestand aus sechs Workshops, die jeweils drei Stunden umfassten. In der Auftaktveranstaltung am 4. November 2020 begrüßten die drei Geschäftsführer:innen des ZMI, Rosella Benati, Elcin Ekinci und Petr Frantik die Teilnehmenden, gaben Informationen zu formellen und inhaltlichen Rahmenbedingungen und führten grundlegend in die Thematik ein. Im zweiten Workshop am 19. November 2020 diskutierten Dr. Ina-Maria Maahs und Christina Winter (Mercator-Institut der Universität zu Köln) verschiedene Ansätze zur Berücksichtigung von Mehrsprachigkeit und Translanguaging im Unterricht und präsentierten hierzu konkrete Umsetzungsmöglichketen, wie z. B. das „Mehrsprachige Reziproke Lesen“ (siehe hierzu Çorlu et. al, 2020). Im dritten Workshop am 8. Dezember 2020 stellten Dr. Evghenia Goltsev und Dr. Christoph Gantefort (Mercator-Institut der Universität zu Köln) Möglichkeiten vor, mit mehrsprachigen Lernvideos Fachunterricht und Herkunftssprachlichen Unterricht zu verzahnen. Im vierten Workshop am 20. Januar 2021 gab Dr. Till Woerfel (Mercator-Institut der Universität zu Köln) einen Überblick über die Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Bildungstechnologien im HSU sowie im Fachunterricht und stellte verschiedene konkrete Ideen vor, wie Mehrsprachigkeit digital gestützt ausgebaut und genutzt werden kann (siehe hierzu den Beitrag von Woerfel in diesem Heft sowie ders. 2020). Ebenfalls im vierten Workshop stellten Dr. Gülşen Dikbaş und Sandra Longo (Kommunales Integrationszentrum Köln) ausgehend von dem Projekt „Starke Netzwerke: Elternbegleitung für geflüchtete Familien“ (BMFSFJ, 2020) Möglichkeiten und Angebote der Elternkooperation im Kontext Interkultureller Schulentwicklung vor. Im fünften Workshop, am 25. Februar 2021, führten Dominik Fasel und Julia Müller (Museumsdienst Köln) gemeinsam mit den Teilnehmenden einen virtuellen Museumsgang durch und diskutierten, wie man den außerschulischen Lernort Museum mehrsprachig gestalten kann (siehe hierzu den Beitrag von Müller und Fasel in diesem Heft). Die Workshopreihe endete mit der Abschlusssitzung am 19. März 2021, in der die Teilnehmenden Ergebnisse und Ideen aus ihren individuellen Handlungsplänen diskutierten und die Reihe evaluierten. Hierbei wurden insbesondere die Themenauswahl und die Vernetzungsmöglichkeiten positiv hervorgehoben. So schrieb beispielsweise ein:e Teilnehmer:in im anonymen Evaluationsbogen: „Die Workshopreihe habe ich insgesamt als sehr gewinnbringend empfunden: Die Themen waren gut gewählt und die Umsetzung interessant gestaltet. Positiver Nebeneffekt der Reihe ist auch, dass sie die weitere Vernetzung mit unseren HSU-Lehrkräften nachhaltig fördert.“ Auch die didaktischen Ideen und Erfahrungen von Kolleg:innen und eingeladenen Dozierenden wurden als sehr hilfreich bewertet: „Ich fand die WS-Reihe klasse und bereichernd. Ich habe festgestellt, dass mehrsprachiger Unterricht schon so praktiziert wird, wie ich ihn mir bisher nicht konkret vorstellen konnte, aber theoretisch gewünscht habe.“ Auf Basis der Evaluation und der mündlichen Rückmeldungen wird die Workshopreihe kontinuierlich weiterentwickelt.
Im November 2021 begann die zweite Runde der Workshopreihe, die ebenfalls mit 24 Teilnehmenden schnell ausgebucht war. Im Gegensatz zum ersten Durchlauf der Reihe konnte die Auftaktveranstaltung unter den gegebenen Sicherheitsregeln in den Räumen der Bezirksregierung Köln in Präsenz durchgeführt werden. Zwei der weiteren fünf Sitzungen sind ebenfalls in Präsenz geplant, ob dies jedoch umgesetzt werden kann, ist zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Textes noch ungewiss.
Langfristig ist geplant, eine kontinuierliche Zusammenarbeit von HSU- und Regellehrkräften sowie einen gemeinsamen Dialog mit Vertreter:innen aus der Wissenschaft sowie mit Fachkräften aus Bezirksregierung Köln, Stadt Köln und anderen Institutionen zu etablieren. Der Aufbau einer nachhaltigen Vernetzung wurde auch von den teilnehmenden Lehrkräften deutlich als ein wichtiger weiterer Baustein für die Einbindung der Familiensprachen in Bildungsprozesse formuliert.
Hierzu wird eine Verstetigung der Reihe angestrebt, wobei die Themenauswahl möglichst kontinuierlich beibehalten werden soll. Damit soll die Workshopreihe eine gemeinsame inhaltliche Grundlage für die Teilnehmenden aller Jahrgänge bieten. Darauf aufbauend ist in Planung, den Absolvent:innen der Workshopreihe regelmäßig Veranstaltungen (Tagungen, Gesprächskreise etc.) zu ergänzenden Themen sowie eine Plattform für eine nachhaltige gemeinsame Kommunikation und zum Informationsaustausch anzubieten. Somit soll die Workshopreihe auch ein Startpunkt sein, um die Vernetzung und das Zusammenarbeiten von HSU- und Regellehrkräften nachhaltig auszubauen sowie einen regelmäßigen Austausch mit Wissenschaftler:innen sowie Akteur:innen aus Politik und Verwaltung zu ermöglichen. Dabei sollen perspektivisch auch gemeinsam Möglichkeiten der Begleitforschung (z. B. zu Transfer- und Implementationsprozessen oder mehrsprachiger Didaktik) entwickelt werden.
Beim Aufbau eines interdisziplinären Netzwerks und der Koordination verschiedener Institutionen kommt dem ZMI als Kooperationseinrichtung von Bezirksregierung Köln, Stadt Köln und Universität zu Köln sowie Kooperationspartner vieler weiterer Institutionen und Akteur:innen im Bereich der sprachlichen Bildung eine besondere Rolle zu. Hinzuweisen sind in diesem Kontext auf die vom ZMI herausgegebenen Eckpunkte zur Integration von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen in Kölner Schulen. Die hier formulierten Handlungsempfehlungen werden durch das ZMI gemeinsam mit dem Regionalen Bildungsbüro Köln (RBB) und dem Kommunalen Integrationszentrum Köln (KI) umgesetzt. Die Handlungsempfehlungen betonen u. a. die Notwendigkeit einer „didaktischen Integration des Herkunftssprachlichen Unterrichts in ein Gesamtkonzept sprachlicher Bildung“ (ZMI, S. 13), die durch „schulübergreifende kollegiale Kooperationen“ (ebd.) begleitet werden sollte. Die Workshopreihe und das darauf aufzubauende Netzwerk können wichtige Bausteine sein, diese Handlungsempfehlungen umzusetzen und damit eine umfassendere Einbeziehung von Familiensprachen in Bildungsprozesse zu erreichen.

Literatur
Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (2020): Starke Netzwerke Elternbegleitung für geflüchtete Familien. Abrufbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/162916/043eecba83c209c785a79491b9eb0275/starke-netzwerke-elternbegleitung-fuer-gefluechtete-familien-data.pdf
Çorlu, G./ Ekinci, A./ Gantefort, C./ Gießelbach, A./ Heeren, M./ Jacobs, D./ Keppeler, C./ Kluge, S./ Maahs, I.-M./ Mangasser, B./ Moch, A./ Mutlu, S./ Ozan, L./ Riewenherm, B./ Sánchez Oroquieta, M.-J./ Strack, C./ Winter, C. (2020). Leseverstehen kennt keine Sprachgrenzen! Kooperativ und mehrsprachig Texte verstehen. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Abrufbar unter: https://www.biss-sprachbildung.de/publikationen/broschueren/
Gantefort, C., & Maahs, I.-M. (2020). Translanguaging – Mehrsprachige Kompetenzen von Lernenden im Unterricht aktivieren und wertschätzen. Verfügbar unter: www.uni-due.de/imperia/md/content/prodaz/gantefort_maahs_translanguaging.pdf
Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen (MSB NRW) (2020): Bereinigte Amtliche Sammlung der Schulvorschriften NRW (BASS) – Herkunftssprachlicher Unterricht; Änderung. Abrufbar unter: https://bass.schul-welt.de/19218.htm
Woerfel, T. (2020). Unterricht mit digitalen Medien organisieren. Mehrsprachigkeit gezielt nutzen und fördern. Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache. Verfügbar unter: https://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de/fileadmin/Redaktion/PDF/Publikationen/200804_Handreichung_A3_final.pdf
ZMI – Zentrum für Mehrsprachigkeit und Integration (Hrsg.) (2018): „Eckpunkte zur Integration von neu zugewanderten Kindern und Jugendlichen in Kölner Schulen“. Abrufbar unter: https://zmi-koeln.de/wp-content/uploads/2020/06/eckpunkte_zmi_fa_web.pdf